Seit einem Jahr wird das ehemalige italienische Konsulat St.Gallen als Kulturstätte zwischengenutzt. Noch bis Sommer bringt das «Kulturkonsulat» Künstler und Publikum zusammen – dann wird das Haus abgerissen. Heute Abend steigt zum Jubiläum ein Fest.
Philipp Bürkler
Es ist ein stattliches altes Haus, mitten in der Stadt St.Gallen beim Roten Platz, umgeben von eher langweilig wirkenden gläsernen neuen Bank- und Geschäftshäusern. Bis 2014 gingen Italiener ein und aus, die ein Visum oder einen neuen Pass beantragten. An der Tür hängt noch die italienische Beschriftung «Uscita», die Besucher zum Ausgang weist. Auf der Südseite im zweiten Stock lädt eine riesige Terrasse zum Verweilen ein. Im Haus gibt es viele hohe, grosszügige Räume mit edlen Holz- und Parkettböden. Hier zu arbeiten muss ein Traum sein. Diesen Traum verwirklichen sich seit Dezember 2016 Redaktoren des Kulturmagazins «Saiten», Initianten des Projektraums Nextex, Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Verbands der Kulturschaffenden visarte.ost sowie einige Dutzend Künstlerinnen und Künstler, die sich die Räume als Ateliers abwechselnd für einige Monate teilen. Aus der bürokratisch organisierten, ehemaligen konsularischen Auslandvertretung Italiens ist eine schweizweit einmalige Kulturstätte für Kunst- und Kulturproduktion geworden.
Wahrscheinlich bereits im Herbst fahren jedoch Bagger auf und reissen das schmucke Haus nieder. Das «Kulturkonsulat» ist ein temporäres Projekt. Das Gebäude gehört der AHV-Ausgleichskasse Medisuisse. Diese will auf dem Areal einen Neubau erstellen. Medisuisse stellt die Immobilie noch bis Juni den Kulturschaffenden, die lediglich für Nebenkosten aufkommen müssen, kostenlos zur Verfügung.
Möglich wurde die Zwischennutzung auch dank der Amtsstelle Kulturförderung Stadt St.Gallen, die sich für eine temporäre Nutzung stark machte und zwischen den Parteien vermittelte. «Die Chancen, dass wir sogar noch über den Sommer hinaus bleiben dürfen, stehen gut», sagt Philip Stuber. Der «Saiten»-Redaktor ist Co-Präsident des Vereins «Das Konsulat», dem Vertreterinnen und Vertreter von Nextex, «Saiten», Werkhaus und der städtischen Fachstelle Kultur angehören. Die Dauer der Nutzung hänge vom Verlauf der Planung des Neubaus ab, so Stuber.
Bis zum Abriss ist das «Kulturkonsulat» ein Ort des Austausches und der sozialen Begegnung – eine jener Begegnungszonen, die in zunehmend kommerziell ausgerichteten Innenstädten weltweit immer mehr unter Druck kommen. Die befristete Nutzung des Gebäudes für kulturelle Zwecke lohnt sich auch für die Eigentümerin Medisuisse, die sich nicht um den Unterhalt kümmern muss. Anstatt dass das Gebäude leer stehe, verfalle oder Vandalen Fensterscheiben einschlügen, würden Mitglieder des Vereins «Das Konsulat» für Ordnung und den Unterhalt sorgen, sagt Stuber. «Wir räumen auf und schneiden die Hecken.»
Positiv äussert sich auch Stefan Späti von der Kulturförderung der Stadt St.Gallen. «Das ‹Kulturkonsulat› als Zwischennutzung hat Vorzeigecharakter auch für andere Städte», so Späti. «Innerhalb eines Jahres konnten wir den Ort wiederbeleben, und es ist eine kreative Stimmung entstanden.» Eindrücklich sei auch die intensive Zusammenarbeit unter den Kulturschaffenden. «Man merkt, es ist durchaus Bedarf nach solchen Räumen vorhanden.» Mit der Kulturförderung der Stadt St. Gallen bestehe ein intensiver Austausch, sagt Kulturvermittler Philip Stuber, nicht so jedoch mit dem städtischen Liegenschaftsamt. «Flächenmässig etwas in der gleichen Grössenordnung zu finden, wird daher schwierig.» Generell liege es aber an der Stadt, für kulturelle Freiräume zu sorgen. Oft scheitern temporäre Projekte, weil die Eigentümer oder die Stadt als Eigentümerin die Räumlichkeiten zu Marktpreisen vermieten – Preise, die sich Kulturschaffende nicht leisten können. «Die Stadt muss ganz klar in die Pflicht genommen werden, günstige Räume für Kulturschaffende zur Verfügung zu stellen», so der 43-jährige Kulturmanager. Die Stadt brauche Raum für Künstler, damit diese gemeinsam Projekte verwirklichen können, die letztendlich der Allgemeinheit zugutekämen.
Handlungsbedarf sieht auch Stefan Späti, obschon er gewisse Risiken ausmacht. «Es gibt zwar mögliche Gebäude in der Stadt, viele sind jedoch zu weit ausserhalb des Zentrums, oder der Investitionsbedarf ist zu hoch.» Späti und Stuber sind sich aber einig: Das «Kulturkonsulat» ist ein Modell, das für Städte attraktiv ist, ökonomisch wie gesellschaftlich. Auch private Eigentümer sollten vermehrt leerstehende Liegenschaften für Zwischennutzungen zur Verfügung stellen. Wohin «Saiten», Nextex und die Künstler ziehen, wenn das Konsulat abgerissen wird, steht noch nicht fest. Eine Option sei das Lattich-Quartier beim Güterbahnhof. «Dort könnten wir uns vorstellen, unsere Büros in die geplanten Container zu verlegen.»
Heute Abend feiern die temporären «Bewohner» des Konsulats ihr einjähriges Bestehen mit einem grossen Fest. Auf dem Programm stehen Konzerte, Ausstellungen und vor allem ein reger sozialer Austausch. Graffiti-künstler haben die Wände im Treppenhaus in Beschlag genommen. Der Eingangsbereich wurde für das Fest neu gestrichen. Das Konsulat zeigt sich zum Jubiläum von seiner schönsten und kreativsten Seite.
Fest heute ab 17 Uhr, Kulturkonsulat, Frongartenstrasse 9, St. Gallen