In St. Gallen blühen zurzeit die kulturellen Zwischennutzungen. Während die einen skeptisch bleiben, glauben andere daran, dass sich noch viel mehr entwickeln wird. Klar ist: Die Nachfrage nach Räumen bei Kulturschaffenden ist gross.
Christina Genova
Sie heissen Werkhaus 45, Lattich und Kulturkonsulat, die kulturellen Zwischennutzungen, die in den letzten Monaten in St. Gallen entstanden sind. Und alle drei stossen bei Kulturschaffenden und Kulturinteressierten auf grossen Zuspruch. Die Projekte haben sich eingenistet in einer ehemaligen Strumpffabrik in St. Gallen Haggen, im Güterbahnhofareal und im ehemaligen italienischen Konsulat an der Frongartenstrasse. Ist St. Gallen das neue Zwischennutzungsparadies der Ostschweiz? Dass diese Projekte gerade jetzt entstanden sind, ist kein Zufall, sondern ein Zeichen, dass etwas in Bewegung gekommen ist, das in vielen grösseren Städten der Schweiz bereits etabliert ist: die vorübergehende Nutzung von Abrissobjekten oder leer stehenden Liegenschaften zu kulturellen Zwecken. In Luzern, Zürich oder Bern gibt es dafür gar professionelle Vermittlungsagenturen.
Am Anfang der St. Galler Zwischennutzungsblüte stand jedoch eine grosse Enttäuschung. Vor drei Jahren hatte die Regio Appenzell AR–St. Gallen–Bodensee das Projekt «Zwischen Nischen» gestartet. Eine regionale Börse für die Zwischennutzung von leer stehenden Räumen sollte entstehen, doch beim Praxistest konnte die damalige Projektleiterin Katja Breitenmoser keine einzige Zwischennutzung vermitteln. Danach endete deshalb «Zwischen Nischen»: «Weil das Angebot und die Nachfrage nicht übereinstimmten, erschien es uns nicht gerechtfertigt, nach Geldern für die Weiterführung zu suchen», sagt Rolf Geiger, der Geschäftsleiter der Regio.
Beinahe geklappt hätte es damals an der Haggenstrasse 45 in St. Gallen, interessierte Kulturschaffende waren bereits angefragt worden. Doch die Stadt als Besitzerin der Liegenschaft zog sich im letzten Moment zurück, weil sie meinte, einen Mieter gefunden zu haben. Der dann doch nicht einzog.
Die einzige Künstlerin, die in dem fast leeren Gebäude trotzdem ein Atelier mietete, war Angie Hauer. Als sie auf den Herbst 2016 die Kündigung erhielt, dachte sie sich: «Wir müssen vor dem Auszug unbedingt noch etwas machen.» Zusammen mit Freunden startete sie das «Werkhaus 45». Das Liegenschaftsamt war einverstanden mit der einmonatigen Zwischennutzung und machte der Gruppe einen guten Preis. Und so belebten fast hundert Kulturschaffende das Werkhaus vom 1. bis zum 30. Juni 2016.
Nur wenige Wochen später gelangte die Ausgleichskasse Medisuisse als neue Besitzerin des ehemaligen italienischen Konsulats an die Fachstelle Kultur mit dem Vorschlag einer kulturellen Zwischennutzung. Dort aktivierte Co-Leiterin Kristin Schmidt ihr Netzwerk und fragte das Kulturmagazin Saiten und die Leute vom Ausstellungsraum Nextex dafür an, ebenso das Team des ehemaligen Werkhauses. Bei allen stiess sie auf offene Ohren, auch die knapp dreissig Ateliers füllten sich rasch. Mitte Dezember konnte man starten. Im Vorstand des Vereins «Das Konsulat» engagiert sich unter anderen auch Angie Hauer. Im Kontakt mit Behörden und Ämtern war sie anfangs mit Vorurteilen konfrontiert: «Viele dachten, dass Künstler nur Party machen wollen.» Das habe sich mittlerweile geändert. Philipp Stuber hingegen, der Saiten im Vorstand vertritt, sieht es anders: «In St. Gallen fehlt die Kultur für Zwischennutzungen. Man lässt die Räume lieber leer stehen, aus Angst, die Mieter nicht mehr loszuwerden.»
Die Rolle der Fachstelle Kultur, die sich im Falle des Kulturkonsulats zum ersten Mal derart intensiv für eine Zwischennutzung eingesetzt hat, wird von allen Beteiligten positiv hervorgehoben. Auch Katja Breitenmoser hat sich beratend engagiert: Die Juristin half bei der Ausarbeitung des Mietvertrags.
Nach dem Ende von «Zwischen Nischen» war für Rolf Geiger von der Regio klar: «Wir wollen das Thema Zwischennutzung nicht aufgeben.» Er hielt seine Fühler ausgestreckt, und nach der Abstimmung über das Teilspangenprojekt realisierte er, dass im St. Galler Güterbahnhofareal die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre wegen der damit verbundenen Planungsarbeiten nicht sehr viel geschehen würde. Das perfekte Feld also für eine Zwischennutzung. Bald schon war «Lattich» geboren. Nach einem erfolgreichen Start im vergangenen September und August mit zahlreichen Veranstaltungen in und vor der SBB-Lagerhalle startet Lattich ab Mai bereits in die zweite Saison. Mittelfristig besteht die Vision, dort einen Arbeitsort für Kreative in Form eines Containerdorfs zu schaffen, Vorbild sind Projekte wie das Basislager in Zürich oder die Rakete in Basel.
Wäre trotz der drei gelungenen Zwischennutzungen eine Agentur sinnvoll, die Mieter und Vermieter zusammenbringt? Katja Breitenmoser ist dafür, Kristin Schmidt sieht für die Stadt St. Gallen eher keinen Bedarf, solange sich Angebot und Nachfrage im kleinen Rahmen bewegen. Eine Stelle für den ganzen Kanton könnte sie sich jedoch vorstellen. Rolf Geiger hofft auf die Initiative Privater. Er ist überzeugt, dass allein schon die Sensibilisierung sehr viel bringe: «Je mehr das Thema Zwischennutzung in der Öffentlichkeit präsent ist, desto mehr Dynamik entsteht.»