Die Speicherung von Telefon-Verbindungsdaten auf Vorrat müsse strenger geregelt werden, urteilt der EU-Gerichtshof. In der Schweiz bereitet das Parlament anderes vor: Datenspeicherung soll von sechs Monaten auf ein ganzes Jahr verlängert werden.
BRÜSSEL. Ist unser aller Privatleben «Gegenstand einer ständigen Überwachung»? Dieses Gefühl könnte die Schweizer und die EU-Bürger durchaus beschleichen, findet der Gerichtshof der Europäischen Union in einem gestern gefällten Urteil.
Sowohl in der Schweiz als auch in der EU werden die Verbindungsdaten der Telefone und Computer der Bürger ständig aufgezeichnet. In der EU bleiben sie bis zu zwei Jahre gespeichert, «ohne dass der Teilnehmer oder der registrierte Benutzer darüber informiert wird», wie das oberste EU-Gericht festhält.
Gespeichert werden zum Beispiel Zeitpunkt, Dauer und die angewählte Nummer eines Gesprächs, nicht aber das Gespräch selbst. Bei Mobiltelefonen kommt meistens der ungefähre Standort des Geräts hinzu.
Die gespeicherten Daten stehen der Justiz zur Aufklärung von schweren Straftaten zur Verfügung.
Der Gerichtshof kommt nun zu einem klaren Schluss: Die entsprechende Direktive der EU verstösst gegen die Grundrechte-Charta und ist darum ungültig. Grundsätzlich sei es zwar zulässig, die Verbindungsdaten speichern zu lassen, um schwere Verbrechen aufzuklären, findet der Gerichtshof. Doch weil das ein schwerer Eingriff in die Grundrechte sei, verlangt das Gericht dafür höhere Hürden, etwa eine zeitliche Beschränkung der Speicherung, zwingende Überprüfungen durch Richter und ein Einschränken der Missbrauchsrisiken.
Der Urteilsspruch ändert vorerst nichts daran, dass in den EU-Staaten die Verbindungsdaten weiterhin gespeichert werden: Die EU-Direktive ist zwar ungültig, aber jedes Land hat zur Umsetzung ein eigenes Gesetz erlassen, das in Kraft bleibt. Im Umfeld der EU hält man eine Welle von Klagen in den verschiedenen Ländern für möglich, weil nationale Bürgerrechtsaktivisten die neue Ausgangslage testen könnten. Die EU-Kommission wird voraussichtlich versuchen, eine neue Vorlage zu schaffen, welche die Kritik des Gerichtshofs aufnimmt. Das dürfte allerdings erst nach den Wahlen geschehen und zu einer längeren Debatte führen.
Für die Schweiz hat der Rechtsspruch des Gerichtshofs keine rechtliche Wirkung. Politisch hingegen könnte er ein Signal sein. Der Bundesrat will mit der sogenannten Büpf-Vorlage die Verbindungsdaten nicht mehr wie bisher nur sechs Monate, sondern ein ganzes Jahr lang speichern lassen.
Der Zürcher FDP-Nationalrat und IT-Unternehmer Ruedi Noser, ein Gegner der Gesetzesrevision, sieht in dem Urteil EU-Unterstützung: «Damit sollte die Sache auch in der Schweiz vom Tisch sein», schrieb er gestern auf Twitter. Noser weiss aber, dass dies wohl ein frommer Wunsch ist: In der Frühlingssession hat der Ständerat die Ausweitung der Telefonüberwachung mit nur zwei Gegenstimmen – des Luzerners Georges Theiler und des Obwaldners Hans Hess – gutgeheissen.