Alle waren dafür, nur die SVP nicht. Trotzdem ist das CO2-Gesetz gescheitert. Daraus gilt es Lehren zu ziehen: Beim nächsten Anlauf braucht es Lenkungsabgaben, die nicht nur teilweise, sondern zu 100 Prozent an die Bevölkerung zurückerstattet werden. Die Zeit drängt.
Diese Abstimmung war für Bundesrat und Parlament wie ein Spiel der Fussball-Nati gegen einen unterklassigen Gegner: Siegen war Pflicht, verlieren verboten. Doch nun setzte es in der 90. Minute eine Niederlage ab. Auch wenn sie knapp ausfiel, das Debakel ist total. Wenn eine so breite Pro-Koalition nicht einmal dieses Gesetz - einen austarierten Kompromiss - durchbringt, was ist dann beim Klimaschutz politisch überhaupt noch möglich?
Nur die SVP, die sich vermeintlich in einer Formschwäche befindet, bekämpfte das CO2-Gesetz, alle anderen Parteien und die zahlungskräftigen Wirtschaftsverbände unterstützten es, auch die meisten Medien begleiteten es freundlich.
Doch die Befürworter haben die Gegner sträflich unterschätzt. Sie fühlten sich zu sicher, schliesslich weht der Zeitgeist grün, und vor vier Jahren kam die Energiestrategie 2050 mit 58 Prozent Ja locker durch; die Konstellation war damals ganz ähnlich. Welch ein Irrtum!
Unterschätzt haben die Befürworter insbesondere die Kostenfrage. Die konkrete Aussicht, bald 120 Franken mehr für einen Flug zu zahlen, wiegt gerade jetzt, wo viele die Sommerferien planen, schwerer als die etwas abstrakte Vorstellung, etwas für den Klimaschutz zu tun.
Ähnlich ist es beim Benzinpreis. «Autofahren und Fliegen nur noch für Reiche?» Dieser linkspopulistische SVP-Slogan traf den Nerv in einer Zeit, wo noch immer viele Angestellte in Kurzarbeit sind und Lohneinbussen erleiden. Auf dem Land waren diese Ängste besonders ausgeprägt. Dort mobilisierten zudem die beiden Agrarvorlagen konservative Stimmberechtigte.
Die Befürworter haben sich diese Niederlage selber zuzuschreiben. Die «Klimaparteien» SP, Grüne und Grünliberale wirkten im Abstimmungskampf seltsam lustlos, ihr Engagement hielt sich in Grenzen. Die Quittung dafür ist eine tiefere Stimmbeteiligung in ihren urbanen Hochburgen als auf dem Land. Das war matchentscheidend.
Der FDP wiederum kam die eigene Basis abhanden, wichtige Kantonalparteien und Exponenten kippten ins Nein. Und das, obwohl die Freisinnigen den CO2-Kompromiss im Parlament geprägt und in einer Ur-Abstimmung den Klimakurs von Parteichefin Petra Gössi gestützt hatten. Das wird die Partei fundamental erschüttern und auch Personalfragen aufwerfen. Wohin, FDP?
Für die Schweiz stellt sich vor allem eine Frage: Was tun, damit die Klimaziele von Paris erreicht werden? Wie soll der Treibhausgasausstoss bis 2030 wie geplant reduziert werden? Abwarten ist keine Option und entspräche angesichts des knappen Entscheids auch nicht dem Volkswillen. Es braucht einen neuen Anlauf, der die Schwachstellen des gescheiterten Gesetzes korrigiert.
Infrage gestellt werden muss insbesondere der milliardenschwere Klimafonds, der zu einer Subventionswirtschaft führen würde und Liberale abschreckte. Lenkungsabgaben auf fossilen Brennstoffen und auf Flügen sind und bleiben der richtige Weg - ohne Preis-Anreize für klimafreundliches und gegen klimaschädliches Verhalten geht es nicht.
Diese Tatsache muss nächstes Mal nicht kleinlaut, sondern offensiv angesprochen werden. Es braucht jetzt Ehrlichkeit. Klimaschutz kostet. Der Glaubwürdigkeit des Vorhabens würde es helfen, wenn die Lenkungsabgaben zu 100 Prozent wieder an die Bevölkerung zurückfliessen würden. Allzu viel Zeit sollte sich die Politik nach dem Debakel dieses Abstimmungssonntags nicht nehmen. Der Klimawandel wartet nicht.
Dieser Tag wird nicht nur in der Umweltfrage, sondern in der Politik ganz generell das Klima verändern. Das links-grüne Momentum, das vor und nach den Wahlen vom Herbst 2019 enorme Wirkung entfaltete, ist weg. In zwei zentralen Dossiers erleben wir gerade eine Wende: In der Europapolitik mit dem Scheitern des Rahmenabkommens und in der Klimapolitik mit dem heutigen Volksentscheid. Das wird Folgen haben für die zweite Halbzeit der Legislatur.