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In der Woche 93 reist Thomas Schlittler von León (Nicaragua) nach San Carlos (Nicaragua). In Zentralamerika lernt er, dass es nicht immer die beste Entscheidung ist, die Polizei zu rufen.
Corina lebt ein Leben, von dem viele nur träumen: Die 32-jährige Thurgauerin, eine langjährige Freundin meiner Schwester, hat der Schweiz den Rücken gekehrt und führt mit ihrem Freund Phil, der aus Barbados stammt, ein Surf- und Yoga-Camp. Die beiden haben an der nördlichen Pazifikküste Nicaraguas ein grosszügiges Anwesen gemietet, von dessen Terrasse aus man einen herrlichen Blick hat auf einen mehrere Kilometer langen Sandstrand.
Das paradiesische Stück Land gehörte einst einem nicaraguanischen Drogensboss. Von der zwielichtigen Vergangenheit ist jedoch nichts mehr zu spüren. Einen Wachmann mit Waffe, wie es an vielen Orten Zentralamerikas üblich ist, sucht man hier vergeblich.
Mehr noch, nicht einmal die Türen sind verriegelt. Corina: „Bei uns ist alles klein und übersichtlich. Wir haben pro Woche nur 20 bis 30 Gäste und nochmals soviel Personal. Die Gästezimmer sind deshalb genauso wenig abgeschlossen wie unser Haus, das etwas abseits steht.“
Über zwei Jahre lang funktionierte das problemlos. Vor ein paar Wochen wurde einem Gast aber das Smartphone aus dem Zimmer gestohlen. „Es war ein Schock für uns“, sagt Corina. Denn weil zum Zeitpunkt des Diebstahls alle Gäste an einem Lagerfeuer sassen, kam nur das Personal infrage. „Doch wir hatten keine Ahnung, wer es war."
Das Smartphone ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Und wer es gestohlen hat, weiss ebenfalls niemand. Corina: „Vielleicht war es tatsächlich jener Angestellte, den die Polizei als Sündenbock abgestempelt hat – vielleicht aber auch nicht.“
Fest steht einzig: Falls es wieder einmal zu einem solchen Zwischenfall kommen sollte, wird es sich Corina zweimal überlegen, ob sie die Polizei anrufen soll. Und meine Freundin Lea und ich wissen jetzt, wieso die meisten unserer Fahrer in Zentralamerika nur abwinken und den Kopf schütteln, wenn wir auf die Polizei zu sprechen kommen.