Kommentar
Beat Villiger verbleibt im Amt: Stoppt die Inquisitoren!

Pascal Hollenstein, publizistischer Leiter CH Media, zum Entscheid von Beat Villiger, Zuger Regierungsrat zu bleiben.

Pascal Hollenstein
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Zehn Tage hat es gedauert. Zehn Tage, in denen er zahlreiche Gespräche geführt habe. Dann trat Beat Villiger vor die Medien und sagte diesen Donnerstag: Er werde sein Amt als gewählter Zuger Regierungsrat fortführen.

Ein anderes Ergebnis war nicht zu erwarten. Der Christlichdemokrat hatte sich vehement dagegen gewehrt, dass eine Strafuntersuchung gegen ihn vor den Wahlen bekannt würde. Als er damit scheiterte, tauchte er zunächst ab. Dann, am Wahlsonntag, legte er dem «Sonntagsblick» eine Affäre und ein uneheliches Kind offen. Verhindern, verwedeln, beichten – so verhält sich keiner, der nicht an seinem Amt hängt.

Und jetzt? Die «Weltwoche» beklagt die «einwöchige Vertuschung» vor dem Wahlsonntag, an der sich auch CVP-Präsident Gerhard Pfister beteiligt habe, «statt im Interesse aller Zuger Stimmbürgerinnen und Stimmbürger auf die kantonale CVP einzuwirken und den Kandidaten zum Verzicht oder doch zu einem zeitgerechten Geständnis aufzufordern».

Politisch durchsichtige Aktion

Das Lamento der SVP-nahen Wochenpublikation ist politisch durchsichtig. Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Luzern ein Verfahren gegen Villiger geführt hatte, weil dieser einer nicht fahrberechtigten Person sein Auto ausgeliehen und mutmasslich einen Kaufvertrag für diesen Wagen rückdatiert hatte, war schon vor der Wahl bekannt. Genauso allerdings, dass dieses Verfahren rechtskräftig eingestellt war. Das kommt einem Freispruch gleich. Und in einem Rechtsstaat hat niemand zu «gestehen», dass er von der Justiz für unschuldig gehalten wird. Das «zeitgerechte Geständnis», das Villiger demnach gemäss den moralinsauren Inquisitoren der «Weltwoche» abzuliefern gehabt hätte, wäre also sein schon vor Jahren begangener Ehebruch gewesen.

Die Schweiz hat ein ausgeprägtes Verständnis für die Privatsphäre ihrer Bürger. Das Bankkundengeheimnis, wenngleich nun stark relativiert, ist Ausdruck davon. Zudem bringt es das Milizsystem mit sich, dass es in diesem Land kaum eine abgehobene Classe politique gibt. Aus diesen beiden Eckpunkten ergibt sich, dass die Schweizerinnen und Schweizer das Recht auch der Politiker auf eine Privatsphäre akzeptieren. Mehr noch: Dass sie ihnen das Recht zubilligen, im Privaten zu scheitern, ohne deswegen politisch abgestraft zu werden. Der ehemalige CVP-Präsident Christophe Darbellay wurde – analog zum Fall Villiger – trotz unehelichem Kind zum Walliser Staatsrat gewählt. Schon 1999 bestätigten die Solothurner den Freisinnigen Rolf Büttiker glanzvoll als Ständerat – obwohl eine Prostituierte ihn zuvor als Kunden benannt hatte. Die Liste vergleichbarer Fälle liesse sich verlängern.

Seine Familienkonstellation ist Privatsache

Anders liegt die Sache freilich, wenn die Konsequenzen von Fehltritten die einwandfreie Amtsführung beeinträchtigen, wenn strafrechtlich Relevantes vorliegt, oder wenn die private Lebensführung in einem krassen Widerspruch zu politischen Forderungen steht.Idealtypisch war das beim Walliser Nationalrat Yannick Buttet der Fall. Der Christlichdemokrat, der sich als Kämpfer gegen den ehelichen Sittenzerfall hervorgetan hatte, stolperte über Alkohol, sexuelle Belästigung von Frauen und eine Verurteilung wegen Nötigung. Buttets Rücktritt war die notwendige Konsequenz.

Die Vorkommnisse um Beat Villiger gehören, nach allem, was bekannt ist, nicht in diese Kategorie. Seine erweiterte Familienkonstellation ist Privatsache. Dass die Mehrzahl der Zuger Wähler bei ihrer Stimmabgabe von Seitensprung und Kind nichts wusste, ist deshalb kein Mangel und politisch unerheblich. Dass Villiger weitermacht hingegen, ist ein wichtiges Signal: Eine Absage an all jene publizistischen Richter und Henker, die gegenüber Politikern einen geradezu totalitären Transparenzanspruch geltend machen wollen. Die Schweizer Demokratie lebt von Menschen. Und nicht von Polit-Eunuchen, wie sie der Phantasie eines George Orwell entspringen könnten.