Gegenwärtig finden in Moskau Wahlen statt: Miss Universe. «Unser Meitli», Dominique Rinderknecht, habe keine Chance. Treibt das – überhaupt Miss Universe – irgendwen auf den Aff?
Gäbe es Misswahlen nicht – man beklagte keinen Entzug. Gäbe es Schönheit nicht – die ganze Welt wäre dann ein Entzugsprogramm.
Nur aus einem Grund wären die Missen zu vermissen: Sie verkörpern ein Versprechen, das sie selten erfüllen. Sie weisen auf etwas Besseres hin, auf wahre Schönheit. Aber was ist das? Eben vielleicht der Hohlraum, der hinter Missen erkenntlich wird. Misswahlen fühlen sich etwa so an, als würden die Goldmünzen am Grund oder Rand unserer Empfindung mit Glasperlen abgegolten.
Ohne Schönheit kann ja keiner leben. Sei es übers Auge, in Klängen. Sei es über die flüchtige Aura zeitloser Gedanken, diesen traumhaften Schimmer vollkommenen Lebens. Darum liegt sehr viel Schönheit im Verwelken. Im Gegensatz zu den Missen habe ich in diesen Tagen Liv Ullmann gesehen: die norwegische Schauspielerin, heute 75-jährig. Hat sie mir in jungen Jahren nie sonderlich gefallen, verblüfft mich ihre ungeliftete Schönheit heute.
Livs Verblühen enttäuscht uns nicht – wie blüht sie auf darin! – wohingegen Missen meist langweilen und enttäuschen. Es ist paradox: Nichts ist so schön anzuschauen wie das Leben gerade dort, wo alle Frische der Haut schwindet. Da kommt die ungeschminkte Frische des Gesichts erst zum Vorschein.
Lebensfrische lässt sich nicht «betonieren», wie Frauen sagen, wenn sie Make-up auftragen (und Männer, wo sie Muskeln aufpumpen). Bei beiden ist viel von der «Spannkraft der Haut» die Rede. Der Ausdruck spricht für sich: Man schmiert die Oberfläche, die Haut, ungeachtet der erschlafften, verblichenen «Spannkraft» darunter.
Schönheit lässt sich beurteilen: Man muss sich hierfür einzig und allein nach dem Zeichen richten, «ob uns die Nähe eines Menschen steigen oder sinken lässt», wie Musil sagte. Ob ich von einer Aura zum Leben ermuntert werde oder nicht. Diese Signale für Schönheit sind kein Privileg der Jugend.