Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist im Interesse der Gesellschaft. Mit der rechtlichen Gleichstellung wird der gesellschaftliche Wandel anerkannt, Kinder in Regenbogenfamilien besser geschützt und das Erfolgsmodell Ehe zeitgemäss weiterentwickelt. Der Leitartikel.
Darf der Staat einen Teil seiner Bürger von gewissen Rechten ausschliessen? Und wenn ja, mit welcher Begründung? Um diese Frage geht es im Kern bei der Abstimmung über die «Ehe für alle» am 26. September. Mit einer Änderung des Zivilgesetzbuchs hat das Parlament die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Konservative, rechte und religiöse Kreise haben dagegen das Referendum ergriffen. Nun müssen die Stimmbürger diese Frage beantworten.
Die Gegner der «Ehe für alle» vermeiden es, im Abstimmungskampf über diese zentrale Frage zu reden. Ihre Kampagne fokussiert einerseits auf den Zugang zur Adoption für gleichgeschlechtliche Paare. Und andererseits auf die Möglichkeit für verheiratete lesbische Paare, in der Schweiz eine Samenspende zu erhalten. Mit diesen Änderungen werde das Kindeswohl dem «egoistischen Wunsch» von homosexuellen Paaren nach Kindern geopfert. Kinder würden «ohne Not» darum gebracht, mit einer Mutter und einem Vater aufzuwachsen, geben sie zu bedenken.
Das ist Unsinn. Lesbische Paare bekommen schon heute Kinder. Manche werden durch eine Samenspende aus dem privaten Umfeld schwanger. Andere nehmen die Dienste einer Samenbank im Ausland in Anspruch. Im zweiten Fall bleibt die Identität des biologischen Vaters oft im Dunkeln. Ein Ja zur «Ehe für alle» gibt Kindern lesbischer Paare das Recht, mit 18 Jahren die Identität des Vaters zu erfahren. Das Gesetz anerkennt gesellschaftliche Realitäten und stärkt die Kinderrechte. Und da Alleinstehende bereits heute adoptieren können, lässt es sich mit Verweis auf fehlende Mutter oder Vater nicht ernsthaft gegen den Zugang zur Adoption für gleichgeschlechtliche Paare argumentieren.
Doch für die Gegner ist es «wider die Natur», wenn Kinder bei gleichgeschlechtlichen Paaren aufwachsen. Dabei hängt die Fähigkeit, gute Eltern zu sein, weder vom Geschlecht noch von der sexuellen Orientierung ab. Kinder brauchen Liebe, Geborgenheit, Unterstützung, Wärme. Ob sie diese von zwei Papis, zwei Mamis oder einem Papi und einem Mami erhalten, ist nicht entscheidend. Das zeigt die Lebensrealität tausender Kinder in Regenbogenfamilien.
Dennoch behaupten die Gegner, die Öffnung des Ehe- und Familienbegriffs für gleichgeschlechtliche Paare untergrabe das Fundament der traditionellen Ehe.
Ist die Institution Ehe wirklich so schwach, dass ihre Ausdehnung auf Männer, die Männer lieben und Frauen, die Frauen lieben, sie ins Verderben stürzen würde?
Nein. Sie ist keinesfalls so fragil, wie es die Gegner der «Ehe für alle» postulieren. Trotz hoher Scheidungsquote von 40 Prozent ist die Ehe unverändert beliebt. Das gleichgeschlechtliche Paare sich die Möglichkeit wünschen, eine Ehe eingehen zu können, sollten die Gegner als Kompliment verstehen.
Die zivilrechtliche Ehe garantiert die umfassendsten gegenseitigen Verpflichtungen und gegenseitigen Rechte zwischen zwei Ehepartnern –und gegebenenfalls ihren Kindern. Ihre Ausgestaltung war vielen Veränderungen unterworfen. Sie widerspiegelten die sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse. Bis 1988 etwa war der Mann zivilrechtlich als Oberhaupt der Familie definiert und genoss innerhalb der Ehe mehr Rechte als die Frau – heute unvorstellbar. Das zeigt: Das Verständnis der Zivilehe als eine kulturell oder religiös begründete, in ihrer Form unveränderte und unveränderbare Gemeinschaft, ist seit mehr als 30 Jahren überholt.
Eine zeitgemässe Ehe steht gleichwertig all jenen Verbindungen offen, für die wir uns als Gesellschaft einen schützenden rechtlichen Rahmen wünschen. Dazu gehören heute zweifellos auch gleichgeschlechtliche Paare. Solche mit und solche ohne Kinder. Sollen wir sie noch länger von jenen Rechten ausschliessen, die wir heterosexuellen Ehepaaren zugestehen? Nein, dafür gibt es keinen Grund. Es ist Zeit für die «Ehe für alle».