Schulden zu machen, scheint das Normalste der Welt zu sein. Nur wenn die Sache völlig aus dem Ruder läuft, wie im Fall Griechenland, realisieren wir, dass da etwas nicht in Ordnung ist.
Oder wenn, wie aktuell, die Europäische Zentralbank im gigantischen Stil Schulden kauft und dadurch der gross angelegten Verschuldung quasi den staatlichen Segen erteilt. Fast könnte man sagen: Wer heute keine Schulden macht, ist selber schuld. Schulden kosten fast nichts. Immobilienbesitzer profitieren massenhaft von tiefen Zinsen. Kein Wunder, wer kauft, fährt günstiger als Mieter. Die Frage ist, wie sinnvoll diese Entwicklung ist. Das Risiko eines gigantischen Chaos ist immens, sollten die Zinsen einmal massiv steigen. In der Schweiz hat der Gesetzgeber weitsichtig dafür gesorgt, dass wir trotz der tiefen Zinsen mehr oder minder vorsichtig bleiben. Die Zinskosten einer Hypothek können zwar von den Steuern abgezogen werden, aber dafür wird uns ein künstlicher – und in den Augen vieler ein umstrittener - Eigenmietwert in Rechnung gestellt, der den Abzug mindestens zum Teil ausgleicht. Das ist aber längst nicht in allen Ländern so. Viele Staaten lassen den Abzug ohne Ausgleich zu, was das Schuldenmachen anheizt.
In der Geschäftswelt ist das Schuldenmachen in der Regel die günstigere Variante als Eigenkapital. Unternehmen können Schuldzinsen praktisch auf der ganzen Welt steuersparend als Aufwand verbuchen. Das alles ermuntert Private und Unternehmen, sich zu verschulden. Heute machen die globalen Schulden (Private, Firmen, öffentliche Hände) 286 Prozent der addierten globalen Bruttoinlandprodukte aus. Selbstverständlich sind Schulden nicht einfach schlecht, vielmehr bilden sie den Kern des kapitalistischen Systems. Schulden erlauben einem Unternehmer, ein Geschäft aufzubauen und diese dank Gewinnen später wieder zurückzuzahlen. Gläubiger auf der andern Seite können sich dank Zinsen indirekt an den Gewinnen, die der Schuldner mit seinem Geschäft erzielt, beteiligen. Schulden ermöglichen, den Kreislauf des Geldes zu beschleunigen. Eine breit angelegte Form von Schulden sind Obligationen. Diese gelten grundsätzlich als sicher, sie ermöglichen dem Schuldner planbare Kosten (Zinsen) und dem Gläubiger einen über Jahre gesicherten Ertrag aus seinem Kapital.
Genau betrachtet entsprechen diese steuerlich zulässigen Zinsabzüge Subventionen. Den Staaten entgeht Steuersubstrat. In Europa machen diese Abzüge aktuell rund zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Es stellt sich folglich die Frage, wie sinnvoll diese teure Subventionierung von Kapital ist. Oder konkret: Würde ein Nutzen daraus entstehen, wenn der Staat die Abzüge nicht mehr tolerieren würde? Holland hat das Experiment 2012 gewagt und nicht mehr zugelassen, die Zinskosten der Hypotheken von den Steuern abzusetzen. Als Folge sind die Steuereinnahmen gestiegen und die Immobilienpreise haben sich im Mittel um etwa 10% verbilligt, mit dem Effekt, dass sich der zuvor überhitze Immobilienmarkt beruhigt hatte.
Könnten die Unternehmen ihre Schuldzinsen nicht mehr von den Steuern abziehen, müssten sie sich vermehrt über Eigenkapital finanzieren. Das hätte den Vorteil, dass, sollte der Unternehmenserfolg ausbleiben, einfach keine Dividenden mehr bezahlt werden, was einzelne Aktionäre, nicht aber das gesamte Finanzsystem treffen würde. Dieses würde dank allgemein sinkender Verschuldung sicherer. Genau das versucht der Regulator derzeit bei den Banken durchzusetzen, indem er von ihnen höhere Eigenkapitalquoten verlangt. Generell, argumentieren Ökonomen, würde wieder mehr Geld in die Produktion von Gütern statt in Finanzprodukte investiert. Diese würde wiederum helfen, die globalen Ungleichgewichte (Stichwort China als Fabrik der Welt) abzubauen.
Natürlich lässt sich die Steuerpraxis nicht einfach ändern. Doch es gibt in den angelsächsischen Ländern durchaus Überlegungen, wie ein gesünderes System zu etablieren wäre. Ein Gedanke besteht darin, Schuldzinsen nur noch reduziert abzugsfähig zu machen, aber gleichzeitig die Unternehmenssteuern zu senken. Die Sache ist komplex, weil heute ganze Industriezweige auf den steuervergünstigten Schulden basieren. Doch der Druck nimmt zu, Lösungen zu finden, wie die Welt aus der Schuldenfalle herauskommt.
Der Autor ist Betriebsökonom HWV. Er war Chefredaktor («Cash», «Aargauer Zeitung») sowie Gastgeber der TV-Sendung Cash-Talk. Heute ist er Partner bei der Kommunikationsagentur GMRZ und unterstützt Unternehmen und Führungspersönlichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit.