Gastkommentar
Gute Laune? Nur zu!

Gastkolumne zur akuten Allerweltsfrage: Wie packen wir 2020 am besten an?

Ludwig Hasler
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Ludwig Hasler ist Philosoph und Publizist. Er ist Mitglied des Publizistischen ausschusses der CH Media.

Ludwig Hasler ist Philosoph und Publizist. Er ist Mitglied des Publizistischen ausschusses der CH Media.

Die Festtage sind vorbei, die Verwandten sind definitiv abgereist – und die alten Gespenster ziehen wieder auf: Australien in Flammen, Millionen Menschen auf der Flucht vor Bomben und Armut, hier Pestizide im Wasser, die dekadenten Negativzinsen, immer mehr Antibiotikaresistenz, das gereizte Gebrüll auf allen Kanälen, der ganze Müll, überall Plastik (bei manchen Leuten scheint Mikroplastik definitiv im Hirn angekommen zu sein), immer mehr Alte, unsichere Rente  . . .

Und da sollen wir mit beherzter Zuversicht ins 2020 starten, wie landauf landab an Neujahrsempfängen empfohlen? Wohin mit dem Nervigen, dem Belastenden? Schlicht verscheuchen, raten die Apostel der Konfliktvermeidung. Weg mit Gedanken, die doch nur stören und miese Laune machen! Haltet euch die Miseren vom Leib, bleibt gelassen, denkt an die Stoiker, so kommt ihr ungeschoren über die Runden! Rolf Dobelli, eine Art Schmalspurwiedergeburt des alten Seneca: «Man muss nur alles Negative ausmerzen, dann kommt es gut.»

Dass Optimisten länger leben, ist klar. Weil ihre Gefässe nicht so schnell verkalken. Weil Entzündungen in ihrem Körper schneller abklingen. Weil sie moderater auf Stress reagieren, also Herzschlag und Atmung schonen. Kurz und gut: Zuversicht wirkt sich positiv aus auf Körper und Seele. Das belegen Harvard-Forscher in ihrer Studie mit 70 000 Teilnehmern.

Umgekehrt gesehen: Menschen mit pessimistischer Neigung sterben dreimal häufiger an Herzinfarkt. Blutgefässe von Übellaunigen verkalken auffällig früher als die von Frohgemuten. Es zahlt sich also durchaus aus, zuversichtlich unterwegs zu sein.

Aber können wir das Konzept «positiv denken» einfach so wählen? Egal, was an Widrigkeiten um uns herum grassiert? Einstweilen gibt es reichlich Dinge und Typen, die sind eher zum Kotzen als zur stoischen Gelassenheit. Wer mag denn die schönreden oder rosafärben?

Müssen wir auch nicht. Grund für gute Laune ist gar nicht, dass ich alles im rosa Licht sehe. Entscheidend ist, dass ich etwas gegen Miseren tun kann. Das Vergnügen liegt darin, dass ich etwas ein bisschen besser oder schlauer oder lustiger MACHEN kann. Und dass ich mir darum nicht überflüssig vorkomme. Dass ich sehe, ich werde gebraucht, ich bin nicht allein, ich habe ein bisschen Bedeutung – auch für andere.

Doch statt noch mehr Gute-Laune-Theorie hier ein Exempel: Der bestgelaunte Mensch, der mir begegnete, heisst Sabriye Tenberken, die Frau geht gegen 50, mit 12 erblindete sie, später studierte sie Soziologie, danach Tibetologie, wozu sie erst ein eigenes Lese- und Schreibverfahren für Blinde erfinden musste. Eines Tages hört sie, in Tibet gebe es auffallend viele Blinde, blinde Kinder lebten dort wie Ausgestossene, ganz ohne Bildung. Da muss man doch was tun, sagt sie und fährt, mit 26, allein nach Lhasa, reitet wochenlang durchs Hochland, sammelt blinde Kinder ein, gründet die erste Blindenschule in Lhasa, übergibt sie Jahre später ehemaligen Schülern, die wiederum neue Schulen eröffnen. Sie selber gründet im südindischen Kerala das «Kantharische Institut»: einen Campus für soziale Pioniere, die allesamt selber aus Randgruppen stammen und heute mehr als 80 Sozialprojekte in aller Welt leiten, etwa mit Kindersoldaten in Afrika, mit Aidswaisen in Südamerika...

Diese blinde Frau ist umwerfend lustig, gescheit, energetisch ein Kraftwerk, ansteckend, nicht die Spur von Bedenkenträgerei, kein Anflug von Sorgendruck, mit einem selten trockenen Humor gesegnet. Der Mensch ist zum Handeln geboren, sagt sie, nicht zum gebetartigen Erörtern von «Werten».

Für mich ist sie der lebhafteste Beweis für die Wahrheit der Sentenz Arthur Schopenhauers: «Es gibt kein Glück – ausser im Gebrauch seiner Kräfte.» Über das tibetische Hochland müssen wir nicht alle reiten. Es gibt auch im Flachland reichlich zu tun. Für alle, die einen guten Grund brauchen, ihre Laune aufzuheitern.