Analyse
Die «Bösen» werden Brüder von Federer und Co.

Wir analysieren die Aufnahme des Eidgenössischen Schwingerverbands als Mitglied von Swiss Olympic. Erstmals betreten damit fremde Richter das Sägemehl. Es lassen sich Vergleiche mit einem EU-Beitritt der Schweiz ziehen.

Klaus Zaugg
Klaus Zaugg
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Als oberstes Organ der Schwinger gilt neu Swiss Olympic.

Als oberstes Organ der Schwinger gilt neu Swiss Olympic.

Keystone

Eine kleine Meldung, die im Mahlstrom der Tagesaktualität beinahe untergeht. Aber ein Ereignis von sporthistorischer Bedeutung: Der Eidgenössische Schwingerverband (ESV) ist ab heute offiziell Mitglied von Swiss Olympic. Die Schwinger werden dann ab dem 1. Januar 2017, nach Anpassung der ESV-Statuten, mit allen Pflichten und Rechten Mitglied der weitverzweigten helvetischen Sportlerfamilie. Brüder von Tom Lüthi, Roger Federer und Lara Gut.

Die Integration der Schwinger in den Dachverband unseres Sportes lässt sich in den politischen Dimensionen durchaus mit einem EU-Beitritt der Schweiz vergleichen. Ein über hundertjähriger Prozess ist damit abgeschlossen. Ob Schwinger sich unter die Hoheit eines anderen Sportverbandes begeben und damit fremde Herren akzeptieren dürfen, hat die Gemüter schon in den 1920er-Jahren erhitzt. Zeitweise waren sogar die Turner-Schwinger den Gralshütern des vaterländischen Hosenlupfes suspekt.

Zwischen 1920 und 1948 erlebten die Ringer dank den Schwingern ihre «Belle Époque». Schwingerkönig Robert Roth wurde 1920 Olympiasieger im Freistilringen und galt als stärkster Mann der Welt. Der eidgenössische Kranzschwinger Fritz Hagmann holte 1948 das letzte Ringergold für die Schweiz. Die Frage, ob es statthaft sei, sich als Ringer an internationalen Wettbewerben zu beteiligen, wurde ablehnend beantwortet. Erst im Laufe der Nachkriegszeit beruhigten sich die Gemüter und Schwinger dürfen seither wieder ringen.

1,5 Mio. an Werbefranken im modernen Schwingsport

Heute geht es um die Probleme des modernen Sportes: Geld und Doping und nicht bloss Geld und Geist. In den 1990er-Jahren beginnt die Entwicklung, die mit einer nie erlebten Popularität des Schwingens ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Die Medien haben das Schwingen entdeckt und der vaterländische Sport hat in unruhigen Zeiten der Globalisierung eine starke politische Symbolkraft. Die Werbewirtschaft schätzt die Popularität der «Bösen» und investiert inzwischen mehr als 1,5 Millionen pro Jahr in persönliches Sponsoring.

Dabei ist es den Schwingern gelungen, die Eigenständigkeit zu bewahren. Das Werbeverbot in den Schwinger-Arenen wird durchgesetzt und auf dem bilateralen Weg arbeitet der ESV intensiv mit den Institutionen des Sports zusammen. 1999 tritt das Dopingstatut in Kraft und schon 2001 erwischt es mit Beat Abderhalden den Königs-Bruder. Aber die Sperren verhängt der ESV selber. Fremde Richter werden nicht geduldet. Der ESV ist nicht Mitglied von Swiss Olympic. Der ESV bestimmt, wie und wann kontrolliert wird.

Mit dem Beitritt zu Swiss Olympic betreten nun erstmals in der Geschichte fremde Richter das Sägemehl. Wann und wie und bei wem es Dopingkontrollen gibt, bestimmt nun Swiss Olympic und die Disziplinarkammer für Dopingfälle von Swiss Olympic (also fremde Richter) wird die Sperren verhängen.

Warum diese Aufgabe der Selbstständigkeit in einem so sensiblen Bereich wie Doping? Verbands-Geschäftsführer Rolf Gasser liefert eine einleuchtende Erklärung. Das Schwingen stehe heute so in der Öffentlichkeit, dass Transparenz gerade in Dopingfragen unerlässlich sei.

Transparenz und Glaubwürdigkeit sei nur bei einer unabhängigen Gerichtsbarkeit gegeben. Und mit dem Beitritt zu Swiss Olympic bekommen die Schwinger Zugang zum gesamten gesammelten Wissen aus allen Bereichen unseres Sportes – ein Wissen, das die Schwinger dringend brauchen. Weil aus Brauchtum längst Leistungssport mit allen Folgeerscheinungen geworden ist. Finanzielle Folgen hat der Beitritt zu Swiss Olympic hingegen (fast) keine. Das Schwingen ist exakt 120 Jahre nach der Gründung des ESV (1895) ein ganz normaler Sport geworden.