Wahlen 2015
Der Wahlkampf als Nudel-Sketch

Wie soll es weiter gehen zwischen der Schweiz und der EU? Ausser der SVP mag sich im Wahlkampf niemand am Thema die Finger verbrennen. Der Wochenkommentar von Gieri Cavelty über die Wahlen 2015 und das Loch Europa.

Giery Cavelty
Giery Cavelty
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Mit Ausnahme der SVP scheuen die Parteien im Wahlkampf das zentrale Thema: Das Verhältnis Schweiz – EU.

Mit Ausnahme der SVP scheuen die Parteien im Wahlkampf das zentrale Thema: Das Verhältnis Schweiz – EU.

Keystone

Post, UBS und Nestlé wollen ihre offenen Stellen sieben Tage vor der öffentlichen Ausschreibung den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) zugänglich machen. Hiesige Arbeitslose sollen im Vorteil sein gegenüber Bewerbern aus dem Ausland. Grossen Einfluss auf die Zuwanderung wird die Massnahme nicht haben, dafür ist die Zahl Arbeitsloser schlicht zu klein. Wichtig ist die Symbolik. Nach dem Ja zur Zuwanderungsinitiative sollen die Schweizer wissen: Ihre Sorgen bleiben nicht ungehört.

Im Verlauf der kommenden zwei Jahre werden die Stimmbürger abermals über das bilaterale Verhältnis mit der EU befinden. Zur Debatte stehen werden die Ergebnisse der Verhandlungen mit Brüssel über die Zuwanderung. Ebenfalls an die Urnegelangen wird ein Rahmenabkommen mit der EU zur Weiterentwicklung des Bilateralismus. Womöglich werden die Dossiers sogar zu einer einzigen Vorlage verpackt; in jedem Fall wird die EU-Frage alles andere überstrahlen. Bis dahin müssen diejenigen, die an einem guten Einvernehmen mit unserem wichtigsten Handelspartner interessiert sind, eine Mehrheit der Stimmenden auf ihre Seite gebracht haben. Das bedeutet nicht zuletzt: Den Befürchtungen in Teilen der Bevölkerung – beispielsweise eben davor, dass Ausländer «importiert» werden, während es hier Arbeitslose gibt –, diesen Vorbehalten muss mit konkreten Taten begegnet werden.

Die offensichtliche Gefahr besteht darin, dass Politik, Verwaltung, Wirtschaft zu wenig Sensibilität für die Vorbehalte aufbringen. Dass man etwas unternimmt, darüber jedoch nicht spricht, darauf muss einer erst kommen. Tatsächlich aber wurde die geplante Einführung jenes Informationsvorsprungs für hiesige Arbeitslose bei Post, UBS und Nestlé Ende Juni zwar kommuniziert – dies freilich in einem unscheinbaren Communiqué des Eidgenössischen Personalamts. Keine Zeitung in der Deutschschweiz hat die Nachricht bisher entdeckt. Sie steht an dieser Stelle sozusagen als Primeur.

Die Angst vor Europa, die Angst vor dem Wähler

Mindestens so irritierend, bloss sehr viel grösser ist ein anderes Kommunikationsloch. Wie gesagt: Die Beziehungen zur EU werden die kommende Legislatur dominieren. Im Wahlkampf, der jetzt in die Schlussphase tritt, mag sich von den grossen Parteien allerdings nur die SVP offensiv dazu äussern, und das in gewohnt kritischer Manier. Alle anderen haben Angst, sich mit dem Stichwort Europa die Finger zu verbrennen und Wähler zu vergraulen. Klar: In den Wahlprogrammen von CVP, FDP und SP findet sich irgendwo ein Bekenntnis zum Bilateralismus – mit Vorteil aber gut versteckt und/oder mit der Betonung, der bilaterale Weg sei das beste Mittel, um sich die EU möglichst fernhalten zu können.

Vielleicht kennen Sie den gut gealterten Nudel-Sketch von Loriot. Einem Restaurantbesucher klebt eine Nudel im Gesicht, seinem weiblichen Gegenüber will es einfach nicht gelingen, ihn darauf aufmerksam zu machen. Das verkrampfte Ausklammern des wichtigsten Themas durch die grossen Mitteparteien verleiht dem Wahlkampf 2015 eine ähnlich skurrile Note.

Damit wird die Meinungsführerschaft der Nationalkonservativen in der Europa-Frage gestärkt. Diese Woche hat Christoph Blocher in einem Inserat, das auch in der «Nordwestschweiz» erschienen ist, das geplante Rahmenabkommen mit der EU als «Kolonialvertrag» gegeisselt. In der Tat hat dieses Abkommen eklatante Schwachstellen. Dazu gehört der von Bundesrat Burkhalter ohne Not gemachte Vorschlag, dass künftig EU-Richter über Streitfälle zwischen Brüssel und Bern befinden sollen. Zugleich muss gesagt sein, dass es hier in aller Regel um technische Details des Marktzutritts geht, nicht um politische Fragen. Weil es gleichwohl heikle Punkte gibt, müssen die konstruktiven Kräfte in Bundesbern diese frühzeitig und von sich aus ansprechen. Gerade weil es heikle Punkte gibt, haben die Wähler Anspruch auf eine solche Auseinandersetzung. Doch verweigern sich die Politiker ausserhalb der SVP der Debatte. Womit sich das negative Bild, welches die Zusammenarbeit mit der EU in Teilen der Bevölkerung schon heute hat, bloss weiter verfestigt.

Alles tanzt nach einer Pfeife

Gewiss, das Image der EU ist nicht nur hierzulande ramponiert. Und natürlich handelt es sich bei der EU um keine karitative Organisation zur Befriedigung helvetischer Bedürfnisse. Unsere mit Abstand wichtigste Partnerin bleibt sie trotzdem. Es braucht darum Antworten, wie die Schweiz selbstbewusst und konstruktiv mit der Union zusammenarbeiten kann. Die Pläne von Post, UBS, Nestlé sind Teil eines solchen Antwortenkatalogs. Gleichfalls dazu gehören müsste unter anderem die bessere Eingliederung der Frauen in den Arbeitsmarkt. Würden sich gerade die bürgerlichen Parteien für diese sowie für weitere flankierende Massnahmen zur Milderung der Zuwanderung starkmachen, dann könnten sie umgekehrt auch offensiv und differenziert über Europa reden. Und wann, wenn nicht in der entscheidenden Phase des Wahlkampfs sollen diese entscheidenden Fragen zumindest einmal angesprochen werden?

Stattdessen präsentierte sich die Situation diese Woche wie folgt: Die CVP dankt dem Herrgott insgeheim für die vielen Flüchtlinge und ruft sich mit asylpolitischen Forderungen in Erinnerung. Derweil demonstriert die SVP mit einem Musikvideo Geselligkeit und Selbstironie. Kunststück: Sie ist die einzige Partei, die mit sich selbst im Reinen ist, mithin einen unverkrampften Wahlkampf führen kann. Die anderen Parteien tanzen ja ohnehin nach ihrer Pfeife.