Das saudische Königshaus hat in Istanbul den Regime-kritischen Journalisten Jamal Khashoggi mutmasslich brutal ermorden lassen. Das muss Folgen haben für die schweizerische Haltung gegenüber Riad.
Was sich am 2. Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul zugetragen hat, das werden wir wohl nie restlos erfahren. Jamal Khashoggi wollte dort Papiere für seine geplante Hochzeit abholen. Seither ist er verschwunden. Wenn nur die Hälfte dessen stimmt, was in der internationalen Presse an Erkenntnissen herumgeboten wird, dann sind wir mit einem üblen Fall konfrontiert: Saudische Schergen sollen ihn gefoltert und anschliessend bestialisch ermordet haben.
Der «Washington-Post»-Kolumnist gehörte zu den einflussreichsten Gegnern des saudischen Königshauses. In seinem letzten Artikel forderte Khashoggi freie Medien in arabischen Staaten, um deren Transformation zu demokratischen Rechtsstaaten zu ermöglichen. Jetzt ist der Intellektuelle tot. Die Machthaber in Riad streiten die Ermordung Khashoggis ab, sprechen aber mittlerweile von einem «Verhör, das schief gegangen» sein soll. Kenner des Landes halten es für ausgeschlossen, dass in einem saudischen Konsulat ein bekannter Regimekritiker ohne Mitwissen der Machthaber in Riad ermordet wird.
Wer in Saudi-Arabien, einer absolutistischen Monarchie mit «abscheulichen theokratischen Auswüchsen», wie die NZZ schreibt, Kritik am Regime übt, lebt brandgefährlich. Immer wieder verschwinden Dissidenten spurlos. Das Land führt einen rücksichtslosen Krieg im Jemen, wo die saudische Armee erbarmungslos zivile Ziele unter Beschuss nimmt. Die UNO spricht von der grössten humanitären Katastrophe der Gegenwart. Die saudische Führungsriege lebt derweil in Saus und Braus und fühlt sich angesichts des westlichen Kuschelkurses stärker denn je. Die Anzeichen indes verdichten sich, dass die Ermordung Khashoggis zu einem Umdenken in Europa und Amerika führen könnte. Es wäre dafür höchste Zeit.
Dass sich die Scheichs getrauen, auf de facto ausländischem Territorium kritische Journalisten auszulöschen, kommt nicht von ungefähr. Der Westen legt dem Regime seit Jahren den roten Teppich aus. Das Land ist nicht nur ein unverzichtbarer Öllieferant, sondern insbesondere für die USA auch ein strategischer Partner in der Auseinandersetzung mit dem Iran.
Es wäre indes heuchlerisch, mit dem Finger alleine auf Donald Trump zu zeigen. Auch die Europäer haben sich mit den Gewaltherrschern am Golf bestens arrangiert. Deutschland liefert, wie «Spiegel online» gestern berichtete, allein im laufenden Jahr Waffen im Wert von über 400 Millionen Euro an das Königreich. Nur Algerien hat noch mehr deutsches Kriegsgerät gekauft. Und auch die Schweiz schreckt nicht davor zurück, den Krieg führenden Saudis Waffen zu liefern, wie die neusten Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft zeigen. Bundesrat Johann Schneider-Ammann reiste im Juli 2017 mit einer prominent besetzten Wirtschaftsdelegation nach Riad, um den Scheichs die Ehre zu erweisen. Das Land gilt als «sehr wichtiger Partner». Bern hat die Beziehungen in den vergangenen Jahren deutlich intensiviert.
Angesichts der Entwicklung stellt sich mehr denn je die Frage, wie gerechtfertigt diese opportunistische und letztlich moralfreie Aussenpolitik ist. Natürlich steht für die Schweiz, die auf offene Märkte und regen wirtschaftlichen Austausch angewiesen ist, kein genereller Abbruch der Beziehungen zur Disposition. Könnten wir nur noch mit lupenreinen Demokratien Handel treiben, dann blieben nicht mehr allzu viele Partnerstaaten übrig. Dennoch sind wir an einem Wendepunkt angelangt. Die Schweiz muss auf einer lückenlosen Aufklärung des Falls Khashoggi beharren. Sollte sich die These der brutalen Ermordung erhärten, sind Massnahmen angezeigt. Wie Recherchen dieser Zeitung zeigen, plant Ueli Maurer, der nächstes Jahr Bundespräsident ist, eine offizielle Reise nach Riad. Es wäre unverständlich, sollte ein Mitglied der Landesregierung unter diesen Vorzeichen an derlei Plänen festhalten. Ein Land, das Regimekritiker skrupellos hinrichten lässt, kann weder politisch noch wirtschaftlich ein wichtiger und angesehener Partner der Eidgenossenschaft sein.