Den militärischen Angriffskrieg startete Putin am 24. Februar 2022. Doch er arbeitete seit Jahren konsequent daran, einen Desinformationskrieg gegen weite Teile der Welt, besonders gegen den Westen, zu führen. Warnsignale hätte es gegeben. Eine Analyse von HSG-Professorin Miriam Meckel.
Es ist exakt 60 Jahre her, dass der kanadische Medienphilosoph Marshall McLuhan den Begriff des «globalen Dorfs» prägte. In seinem Buch «Die Gutenberg-Galaxis» beschreibt McLuhan, wie die Welt durch elektronische Vernetzung stärker zusammenwächst, bis alle Menschen in einem Weltdorf leben.
Auf diesen Begriff sind die Propheten des Technozäns aufgesprungen wie Flöhe auf wallendes Haupthaar – Fahnenträger der positiven Botschaft, dass Vernetzung die Menschheit in eine Zeit des Friedens und der Verständigung führen wird.
McLuhan hat das globale Dorf nie als Friedenstraum der Menschheit interpretiert. Vielmehr sah er die kriegerischen Stammesgesellschaften der Vergangenheit in der umfassenden Vernetzung reaktiviert: «Wie in der Urzeit leben wir heute in einem globalen Dorf, das wir selbst geschaffen haben, in einem simultanen Geschehen. Das bedeutet nicht unbedingt Harmonie und Ruhe, aber es bedeutet eine enorme Einmischung in die Angelegenheiten der anderen.»
Wir wissen nun: Er hatte recht.
Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Putin sich als Häuptling eines allzu gestrigen Stammes entlarvt. Die Weltaufmerksamkeit für das Geschehen in der Ukraine zeigt, dass wir eine neue Zeit betreten haben. Eine Zeit, in der jedes Verständnis und jedes Missverständnis gleichzeitig möglich ist.
Es ist die Zeit des hybriden Kriegs, in dem es neben dem freien Marktplatz der Information auch den Schwarzmarkt der Desinformation gibt, in dem der ukrainische Präsident Selenski mit einem Handyvideo zur Welt sprechen kann, während Cyberangriffe Teile des ukrainischen Internet, von Wirtschaft und Regierung des Landes immer wieder lahmlegen.
Dieser Krieg ist der erste Weltinformationskrieg. Er hat nicht am 24. Februar 2022 begonnen, sondern vor acht Jahren. Rückblickend zeigt sich, dass Putins Russland seitdem konsequent daran gearbeitet hat, einen Desinformationskrieg gegen weite Teile der Welt, besonders gegen den Westen, zu führen. Die Ukraine war immer Medium seiner Bemühungen.
Es begann Ende 2013 mit den Demonstrationen gegen den prorussischen Präsidenten Janukowitsch auf dem Maidan-Platz in Kiew. Janukowitsch musste fliehen, und kurz darauf besetzten russische Truppen die Krim.
Seitdem sind in der Ukraine durch den Konflikt 14'000 Menschen ums Leben gekommen, ein Krisenzustand, der in den letzten Jahren immer weniger Aufmerksamkeit erlangte. Eine aktive Desinformationsstrategie, wie sie in der Folge der Krim-Annexion ausgerollt wurde, hatte es bislang so nicht gegeben.
Die Aktionen russischer Geheimdienste wurden durch die sozialen Medien zu digitaler Propaganda auf Steroiden, umfassend, unsichtbar und bei weitem nicht auf die Ukraine begrenzt. Wie das FBI im Mueller-Report dargelegt hat, richtete sich die russische Desinformation ebenso konsequent gegen die USA. Im Ergebnis zeigt sich: Putin hat mit Hilfe seiner Hacker-Truppen die Wahl gekapert und Trump durch gezielte Datenleaks zum Sieg verholfen.
Noch heute fehlt vielen Beobachtern der Mut, diesen Angriff zu benennen als das, was es ist. Modernste Kriegsführung.
Die findet nicht nur auf dem Schlachtfeld der Wahlmanipulation statt. Sie kann auch die wichtigsten IT-Systeme treffen. In den Tagen vor dem sichtbaren Angriff von Putins Truppen auf die Ukraine fanden vielfach zunächst unsichtbare Angriffe mit Schadsoftware auf Regierungsinstitutionen, den Finanz- und Energiesektor in der Ukraine, aber auch in Lettland und Litauen statt.
Auch der bislang zerstörerischste Cyberangriff durch die Schadsoftware «Notpetya» 2017 ging von den Hackern des russischen Militärs aus und richtete sich zunächst auf die Ukraine. Innerhalb von wenigen Stunden hatte die Ransomware auf andere Länder und ihre Unternehmen übergegriffen, die Schiffe des dänischen Logistikunternehmens Maersk, den Pharmakonzern Merck oder den französischen Baukonzern Saint-Gobain lahmgelegt.
Wir werden uns im globalen Dorf auf diese Variante der Cyberkriegsführung einstellen müssen. Nicht jeder Angriff ist dabei unmittelbar sichtbar. Aber ein Krieg ist ein Krieg. So sollte man ihn dann auch benennen, bevor ein Land überfallen wird.
Miriam Meckel, HSG-Professorin und Publizistin