Warum ist Johnny Depp plötzlich Arzt in «Grey's Anatomy»? Warum wirbt Julia Roberts nun für Joghurt? Weil professionelle Synchronsprecher mehr als nur einen Job haben. Ihre Namen kennt man kaum. Doch ihre Stimmen bleiben im Ohr.
Im Kino und auf dem Bildschirm ist es völlig normal, dass Filmgrössen wie Jack Nicholson und Dustin Hoffman perfekt deutsch sprechen. Selbst wenn das Fernsehen vermehrt in Zweikanalton ausstrahlt, haben wir uns an den Klang ihrer Synchronstimmen gewöhnt. Dass die ungleichen US-Schauspieler die gleiche deutsche Stimme haben, merken aber die wenigsten. In den 70er-Jahren wurden beide von Manfred Schott synchronisiert.
Nach dessen Tod übernahm Joachim Kerzel, der auch für Anthony Hopkins, Dennis Hopper, Harvey Keitel oder Jean Reno zu hören ist. Ausserdem bestreitet Kerzel mit seiner markanten Stimme gut zwei Drittel der deutschen Kinotrailer.
Trotz hohem Wiedererkennungswert einzelner Synchronstimmen scheinen uns Mehrfachbesetzungen nicht weiter zu stören.
Auf dem Bildschirm verschmelzen die Stimmen mit den Darstellern, und die eigentlichen Sprecher bleiben so anonym wie Stuntmen oder Body Doubles. Wenn man aber die Ohren spitzt, fragt man sich womöglich: Was hat Johnny Depp bei den Ärzten von «Grey's Anatomy» zu suchen? Spielt Julia Roberts neuerdings in «Brothers & Sisters»? Und hat Oscar-Preisträgerin Sandra Bullock überhaupt Zeit für eine Fernsehrolle als «verzweifelte Hausfrau» in der Wisteria Lane?
So hochkarätig sind die beliebten US-Serien auf SF 2 allerdings nicht besetzt. David Nathan, die deutsche Stimme von Johnny Depp, übernimmt in «Grey's Anatomy» die zynischen Dialoge des plastischen Chirurgen und ist gleichzeitig mit «CSI» in Las Vegas auf Spurensuche. Daniela Hoffmann ist seit «Pretty Woman» als Feststimme von Julia Roberts bekannt, spricht aber auch Calista Flockhart in der kultigen Anwaltsserie «Ally McBeal» oder aktuell in der Dramaserie «Brothers & Sisters».
Wenn wir Bettina Weiss hören, denken wir zuerst an Sandra Bullock. Ebenso oft ist die Synchronschauspielerin mit der dunklen Stimme für Teri Hatcher im Einsatz, zum Beispiel als die schusselige Susan Delfino in «Desperate Housewives». Findige Krimifans stossen zudem in «CSI: Miami» auf ihre Stimme.
Solche Parallelen bilden keineswegs die Ausnahme.
Wer durch Thomas Bräutigams «Lexikon der Synchronsprecher» blättert, macht laufend Entdeckungen und erfährt viel Wissenswertes über Geschichte und Hintergründe der Filmsynchronisation. Weit über 300 «Stimmen aus der Dunkelkammer» werden in Kurzbiografien gewürdigt. Ein alphabetisches Verzeichnis dokumentiert die wichtigsten Filme und Serien mit Produktionsangaben und detaillierter Synchronbesetzung.
Eine noch umfassendere Zusammenstellung bietet die beigefügte CD-ROM mit Filmangaben auf über tausend PDF-Seiten.
Das hätte uns doch längst auffallen müssen: Sophia Loren, Audrey Hepburn und Elisabeth Taylor teilen sich ebenso dieselbe Sprecherin (Marion Degler) wie Brigitte Bardot und Marilyn Monroe (Margot Leonard). Selbst Tom Hanks, Kevin Kline, Bill Murray und Jeff Goldblum sind kaum zu unterscheiden (Arne Elsholtz).
Professionelle Synchronsprecher schaffen es dennoch, den jeweiligen Figuren und Schauspielern eine individuelle Note zu verleihen. Oder bilden wir uns bloss ein, dass Manfred Lehmann bei Gérard Depardieu und Bruce Willis andere Akzente setzt und Frank Glaubrecht mal wie Kevin Costner, dann wieder wie Pierce Brosnan oder Al Pacino klingt?
Für Hörspiele, Audiobooks oder als Sprecher in Reportagen und historischen Dokumentationsfilmen sind die berühmten Stimmen ebenso gefragt.
Passenderweise liest Wolfgang Draeger Hörfassungen von Woody-Allen-Geschichten. Maud Ackermann hat «Chocolat» von Joanne Harris eingelesen und ist in Lasse Hallströms gleichnamigem Film für Juliette Binoche zu hören. Christian Brückner, von Martin Scorsese persönlich für Robert De Niro ausgesucht, betreibt inzwischen sogar seinen eigenen Hörbuchverlag.
Ein besonderes Einsatzgebiet stellt schliesslich die Radio- und Fernsehwerbung dar. Hier kann man sich den vertrauten Klang einer Synchronstimme zunutze machen, ohne für den Glamour eines Weltstars die ganz grosse Gage zu zahlen. «Hallo, ich bin Richard», beginnt ein dreister Werbespot für erlesene Weine. Es spricht zwar Hubertus Bengsch, dabei haben wir die schmelzige Stimme von Richard Gere im Ohr.
So kommt es auch, dass Robert Redford scheinbar für einen Luxuswagen wirbt, Julia Roberts für Joghurt und Bruce Willis für Coca-Cola. «It's possible» – auch wenn die Gesichter keineswegs stimmen.
Thomas Bräutigam: Stars und ihre deutschen Stimmen, Lexikon der Synchronsprecher. Schüren-Verlag, Marburg 2009.