Zwei Jahre nach Renovation erscheint ein Kunstführer über die Schätze des Rokoko-Gebäudes.
Die Bleikugel steckt fest in der rechten Holztür des Palais Rechberg. Sie zeugt von kriegerischen Gefechten von 1802 am Hirschengraben, als sich die aufmüpfigen Zürcher gegen die Helvetische Republik wehrten. «Die Aufstellung der Truppen zeigt, dass es keine helvetische, sondern eine heimische Kugel gewesen sein muss», sagt Andreas Gallmann. Der Thalwiler Historiker ist einer der beiden Verfasser der Broschüre über das Stadtpalais Rechberg, die in der Reihe Schweizerische Kunstführer neu erschienen ist.
Gallmann führte gestern nach der Buchpräsentation durch das Gebäude, das Regierungs- und Kantonsrat zu Repräsentationszwecken, für Sitzungen und Büros nutzen. Die «schönste Stuckdecke des Kantons» findet man im Büro des Leiters der Parlamentsdienste, dem Balkonzimmer im ersten Obergeschoss. Zart ranken sich Blätter und Zweige in den Ecken, da und dort sitzen ein Löwe, ein Hund und ein Bär, und die einzelnen Traubenbeeren sind so filigran gearbeitet, dass man meint, sie pflücken zu können.
Trotz getäferten Wänden und Darstellungen der drei Jahreszeiten aus dem 18. Jahrhundert sind die Büromöbel modern. 2014 wurde die Renovation des «bedeutendsten Rokokobaus des Kantons Zürich» abgeschlossen. Stararchitektin Tilla Theus hat die antike Ausstattung aufgefrischt und Altes mit Neuem ergänzt, etwa die Leuchten mit linsenförmigen Glasscheiben, die theatralisch drapierten Tüllvorhänge und die handbemalten Tapeten. Theus hat die historischen Farbkonzepte modern interpretiert, etwa im Büro der Kantonsratspräsidentin Theres Weber (SVP), wo die Wände auberginefarben leuchten. Eine ähnliche Farbe hatte wohl die Bauherrin des Stadtpalais gewählt, Anna Werdmüller-Oeri, als dieses 1770 fertiggestellt worden war.
Mit Anna Werdmüller-Oeri hätte sich Theres Weber gerne unterhalten, etwa über die Tüllvorhänge, sagte Weber. «Die Textilfabrikantin war aber auch eine unternehmerisch denkende Frau und wäre sicher eine gute Politikerin gewesen.» Anna Oeri war 1758 die grösste Steuerzahlerin der Stadt Zürich und ihre Hochzeit im selben Jahr mit Johann Caspar Werdmüller, Zunftmeister der Zimmerleuten, der Event des Jahres. Um sich gebührlich zu präsentieren, liess das bedeutende Paar das ehemalige Wirtshaus «Krone» abreissen – erstmals erwähnt wurde die Liegenschaft 1456 – und baute das dreiflügelige Stadtpalais nach französischem Vorbild.
«Das schicke Palais im hippen Rokokostil mit seinem prächtigen Barockgarten war damals ein Trendsetter», sagte Benno Schubiger, Präsident der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Mit den lieblichen Landschaft- und Hirtenszenen auf den Kachelöfen und auf den Wandpanneaux der Flügelzimmer wollten die Besitzer die Natur ins Zimmer holen, erläuterte Andreas Gallmann. Weitaus ländlicher als heute habe auch die Umgebung rund um den terrassierten Garten ausgesehen: «Hier ausserhalb der Stadtmauern konnte man problemlos einem Hirten beim Versammeln seiner Schafe zuschauen.»
Ende des 19. Jahrhunderts wären die drei oberen Gartenterrassen fast mit sieben Wohnblöcken überbaut worden. Da sich die Behörden aber gegen den Plan der damaligen Besitzerin aussprachen, verkaufte diese das Anwesen 1899 dem Staat Zürich für eine Million Franken. Nachdem die Räume von der Universität, der Staatskellerei und dem Kirchenrat genutzt worden waren, dienen die Prunksäle seit 1953 dem Regierungsrat für Staatsempfänge. Der Öffentlichkeit ist der Zutritt zum Haus zum Rechberg nicht gestattet. Der 52 Seiten dünne Kunstführer nimmt einen aber mit auf eine Tour durch den Rechberg, seine Geschichte und Kunstwerke – und die Kugel im Holzportal ist sogar jedem Passanten zugänglich.
Das Stadtpalais ‹Rechberg› in Zürich
Andreas Gallman und Lukas Knörr. Für 14 Franken zu bestellen unter www.gsk.ch