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Leben
Sie waren zwar nie in Grönland. Dennoch haben die Römer auch im ewigen Eis ihre Spuren hinterlassen. Dies haben Wissenschafter nun – über 2000 Jahre später – entdeckt.
Eine Reise in den Untergrund ist immer auch eine Reise in die Vergangenheit. Geologen entdecken in Gesteinen Spuren von Meteoriteneinschlägen von vor Millionen Jahren. Archäologen stossen bei Grabungen auf Überreste prähistorischer Zivilisationen und Kulturen.
Doch nicht bloss Artefakte, also von Menschenhand gefertigte Objekte wie Schmuck oder Tontafeln, auch natürliche Objekte sind stumme Zeitzeugen. Jedes Staubkörnchen erzählt ein Stück Geschichte. Je mehr Puzzleteile zusammenkommen, desto genauer das Bild. Manchmal jedoch erschliesst sich ein Fund erst auf den zweiten Blick.
Im aktuellsten Fall waren Wissenschafter auf Hinterlassenschaften der Menschheit gestossen, die mit dem eigentlichen Fundort zunächst nichts zu tun haben. Das internationale Forschungsteam des Desert Research Institute (DRI) in Nevada hat im Packeis von Grönland nämlich Spuren von Emissionen identifiziert, die Rückschlüsse auf Blüte und Verfall des Römischen Reichs zulassen.
Die Wissenschafter analysierten dazu Daten des Greenland Ice Core Project (GRIP), bei dem zwischen 1989 und 1992 auf einem Plateau in Grönland ein 3028 Meter langer Eiskern herausgebohrt wurde. Die Schichten des Eispanzers in ca. 2750 Metern Tiefe sind schätzungsweise 105 000 Jahre alt (aufgrund der Faltung konnte in den tieferen Schichten keine klimatische Zeitreihe mehr ermittelt werden). Als das Eis entnommen wurde, zerstückelten es die Forscher und verschickten es zur Konservierung in verschiedene Labors.
Die DRI-Forscher fokussierten ihre Untersuchung auf Proben zwischen 159 und 580 Metern Tiefe. Laut Rückdatierung ist dieser Abschnitt des Eisbohrkerns rund zweitausend Jahr alt und entspricht damit der Zeit des Römischen Reichs um Christi Geburt. Die Römer schmolzen in Minen Gold, Silber und Kupfer, um Schmuck und Münzen herzustellen.
Bei der Gewinnung der Silbererze entstanden giftige Dämpfe und Emissionen. Diese entwichen in die Atmosphäre und drifteten Tausende Kilometer nordwestwärts, wo sich die umherschwebenden Russpartikel in der Arktis mit Wassertropfen zu Kondensationskeimen paarten und als Schneeflocken niedergingen.
Die Emissionen, welche die Wissenschafter mit komplexen atmosphärischen Modellen nun nachweisen konnten, sind ein Näherungswert für die Münzproduktion der damaligen Zeit. Die Prägestätten befanden sich vor allem auf der Iberischen Halbinsel, in Gallien und den Provinzen am Rhein.
Besonders spannend an der Römer-Forschung im ewigen Eis: Zwischen den Emissionen und der politischen und wirtschaftlichen Stabilität des römischen Imperiums besteht ein Zusammenhang, wie die Forscher in ihrem Aufsatz im Fachblatt PNAS schreiben. Je mehr Schadstoffe emittiert wurden, desto mehr Münzen wurden produziert und desto mehr florierte die Wirtschaft.
Oder konkret: Im Jahr 218 v. Chr., als Rom den Zweiten Punischen Krieg mit Karthago begann, sank die Luftverschmutzung in der Arktis – und stieg abrupt wieder an, als das römische Heer punische Minen in Südspanien besetzte. Auch die Entscheidung Kaiser Neros 66 n. Chr., die Währung durch die Reduktion des Silberanteils in den Münzen abzuwerten, machte sich in der Atmosphäre bemerkbar.
Das grönländische Packeis ist also eine Art Chronik und Wissensspeicher, in dem historische Entwicklungen wie der Aufstieg und Niedergang des Römischen Reichs eingeschrieben sind.
Auch andere Ereignisse wie der verheerende Vulkanausbruch des Tambora 1815 in Indonesien, dessen Aschewolke auch in Europa den Himmel verdunkelte und zu einem «Jahr ohne Sommer» führte, lassen sich im Eis ablesen – in diesem Fall anhand einer erhöhten Sulfatkonzentration. Um den Fussabdruck der Römer im grönländischen Packeis zu dechiffrieren, hatten der Wissenschaft dagegen bislang die Mittel gefehlt.
Das nun vorliegende Ergebnis ist eine kleine wissenschaftliche Sensation, weil es nicht nur historische Prozesse im Nachhinein plausibilisiert, sondern auch ein ungewohntes Mass an Luftverschmutzung in der Antike dokumentiert. Schon damals wirkten sich die Erzgewinnung und Münzproduktion in der Atmosphäre aus – wenngleich in viel geringerem Masse als mit dem Beginn der Industrialisierung.
Zwar kannten die alten Römer noch keine Filteranlagen und Fahrverbote. Auch musste man das Thema Umweltschutz nicht auf die Agenda setzen, um als Politiker in den Senat gewählt zu werden. Doch eine geologische Kraft wie die Menschheit in neuester Zeit waren die alten Römer noch nicht.