Wieder bergauf!

Auf der Piste zwischen Erinnerungen, Event-Skitourismus und der Faszination der Falllinie.

Urs Bader
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«Alles fahrt Schi»: Wer Ski fährt, ist heute in grosser Gesellschaft. (Bild: ky/Steffen Schmidt)

«Alles fahrt Schi»: Wer Ski fährt, ist heute in grosser Gesellschaft. (Bild: ky/Steffen Schmidt)

«Lönd de Tüffel fahre und d'Maiteli lah si. / Es git kei Larifari, wo Schnee isch und wo Schi, / Es git kei Larifari, wo Schnee isch und wo Schi – Schi heil!» So sangen wir, Mitte der 60er-Jahre, im Skilager. Das Haus stand auf halber Höhe am Piz Mundaun. Wir erreichten es per Ski mit aufgezogenen Fellen – kein Skilift weit und breit. Wenn wir eine Art Piste wollten, mussten wir sie selbst stampfen. Der Aufstieg zum Piz war schon eine veritable kleine Skitour. Larifari war nur an den «bunten Abenden» erlaubt.

Die Alpen umgebaut

Schluss mit «Larifari» war nun auch bei der Entwicklung des Skitourismus: Man begann die Alpen umzubauen, sie zu konfektionieren für die drängenden Massen. Die Bahnenbauer mussten sich etwas einfallen lassen, und sie taten es. Die gegenüber den Zahnrad- und Standseilbahnen günstigeren Luftseil- und Sesselbahnen wurden schnell populär und erschlossen neue Skigebiete. 1959 gab es erst 600 Seilbahnen (80 Prozent davon Skilifte). Heute weist der zuständige Verband 2400 Seilbahn- und Skiliftanlagen aus. Über 300 Millionen Personen werden jährlich in die Höhe befördert. Sie erzielten im Rekordjahr 2007/08 einen Personenverkehrsertrag von 950 Millionen Franken, zehn Prozent mehr als im langjährigen Mittel. Rund 80 Prozent des Ertrags werden jeweils im Winterhalbjahr erwirtschaftet.

Kein Wunder, sind heute die Pisten oft übervölkert. Und der Schein trügt nicht – das Skifahren boomt wieder. Der Skitourismus, der vor ein paar Jahren schon abgeschrieben wurde, hat die Spitzkehre geschafft – mit nachhaltiger Wirkung. Es geht wieder bergauf! Gemäss einer im Juni präsentierten Umfrage des Bundesamts für Sport über die Sportarten-Präferenzen von Herrn und Frau Schweizer konnte das Skifahren seit 2000 um vier Prozent zulegen.

Es wird kräftig investiert

Professor Thomas Bieger, der an der Universität St. Gallen unter anderem Tourismusforschung betreibt, weist auf verschiedene Gründe für diese Entwicklung hin. «Seit 2001 ist in Bahnen und Pisten sowie in die Hotellerie massiv investiert worden, begünstigt durch billiger gewordene Kredite und verbesserte Selbstfinanzierungskraft.» Insbesondere bei den Bergbahnen, dem Motor des Wintertourismus, seien vielerorts auch die Strukturen effizienter gestaltet worden, etwa durch Fusionen. Schliesslich habe die flexiblere Handhabung von Beschneiungs-Bestimmungen Investitionen in diesen Bereich erleichtert.

In den Jahren 2006/07 ist von insgesamt über 200 Millionen Franken fast ein Viertel für Beschneiungsanlagen ausgegeben worden. Und es soll weiter kräftig Geld in Anlagen und Pisten gesteckt werden. Für die Jahre 2008 bis 2012 sind gemäss Verband Investitionen im Betrag von 1,2 Milliarden Franken geplant. Tatsächlich liegt bei der Beschneiung der Pisten die Schweiz im Vergleich etwa mit Österreich noch zurück. Von der gesamten Pistenfläche ist hier ein Drittel beschneibar, bei unseren Nachbarn sind es schon um die 60 Prozent.

Nun geht's ruck-zuck, zack-zack

In den Anfängen der Erschliessung für die Massen verbrachte man den halben Skitag mit Warten vor einer einfachen Sesselbahn oder einem langsamen Skilift. Diese Warterei inspirierte 1970 das Cabaret Rotstift zum Sketch «Am Skilift». Eine Nummer, die die Nation mit flotten Sprüchen versorgte – die der Ruck-zuck-Deutsche in der Schlange über sich ergehen lassen musste. «Und wen't denn die vorne bisch, dänk dra, muesch nöd Kleider an Bügel hänke.» Heute befördern schon achtplätzige Sesselbahnen und doppelstöckige Luftseilbahnen die gehetzten Skifahrer auf den Berg.

Damals gab es auf den Pisten auch noch den Skifahrer-Typus «Anfänger». Er ist inzwischen nahezu verschwunden. Den Anfänger gibt es höchstens noch in der Kinder-Skischule. Wer's nicht kann, der bleibt zu Hause – mit Ausnahme vielleicht von ein paar unverdrossenen Holländern.

Neue Trends, neue Märkte

Dem Massen-Skifahrer ist die Weiterentwicklung der Ski entgegengekommen, die es nun jedem und jeder erlauben, auf der Piste auch ohne ausgeprägtes Gefühl für Bewegung eine gute Figur zu machen. Neue technische Möglichkeiten und Trends haben den Skitourismus immer wieder angetrieben. Sie tun es auch heute. Freestyler und Freerider etwa brauchen neue Sportgeräte – eine Nachfrage, die immer öfter durch einheimische Produkte gedeckt wird. Kleinfirmen bedienen durch exklusive Bretter und Latten exklusive Wünsche.

Bieger sieht darin auch eine Differenzierung des Marktes. Er unterscheidet zwischen Gelegenheits-Skifahrern und «Hardcore-Skifahrern». «Diese sind an qualitativ hochstehenden Produkten interessiert und sind bereit, dafür auch einen entsprechenden Preis zu bezahlen.»

Und die Anfänger? Ja, auch sie tragen zum neuen Boom bei. Die Ski- und Snowboardschulen verkaufen wieder mehr Lektionen. Zwar stagniert der Board-Unterricht, aber jener für Skifahrer erreichte letzte Saison einen Spitzenwert. Dies bestätigt auch die Studie des Bundesamts für Sport. Snowboard legte zwischen 2000 und 2008 kaum mehr zu.

Es gilt also wieder die Parole des Vico-Torriani-Gassenhauers aus den 60er-Jahren: «Alles fahrt Schi, alles fahrt Schi, Schi fahrt die ganzi Nation.» Aber die Gemütlichkeit und auch die Betulichkeit der Keilhosen-Generation ist vorbei. Wer heute eine Tageskarte löst, kauft ein Ticket für ein Eventareal. Superpisten, allerlei «Möblierung» für Boarder, effiziente Bergbahnen sind eine Selbstverständlichkeit. Dazu gehören aber auch coole, lautstark beschallte Schneebars, vielleicht eine Abtanz-Hütte, Erlebnisgastronomie, eine Geschwindigkeits-Teststrecke usw. Da hofft manch einer tatsächlich geradezu auf eine weitere Differenzierung der Angebote: Die Fun-Szene hier, die Ruhe und Gemütlichkeit suchenden Traditionalisten dort. Letzteren empfiehlt Skifahrer und Familienvater Bieger kleinere Skigebiete: «Sie bieten zwar weniger, sind dafür aber meist auch nicht übervölkert. Zudem sind sie in der Regel günstiger.»

Welch Glücksgefühl!

Alle nostalgischen Erinnerungen, auch aller Ärger über die Vermassung des Skifahrens lösen sich aber in bestimmten Momenten in Luft auf. Nämlich dann, wenn man in rhythmischen Schwüngen über eine Piste gleitet, immer einen Zentimeter über Boden, schwerelos und ganz bei sich selbst. Oder wenn man am Rand einer Piste durch Pulverschnee spurt, umwirbelt von Schneegischt, im Schatten sich selbst beobachtend, narzisstisch angehaucht. Oder wenn man über einem Steilhang steht, die Angst überwindet und mit kratzenden und krachenden kurzen Schwüngen in der Falllinie hinuntersticht, bis die Schenkel brennen, um es schliesslich brettern zu lassen. Welch grossartigen Momente! Welch Glücksgefühl! Das man halt eben mit Millionen andern teilt.

Aufstieg zum Piz Mundaun: Skilager in den 60er-Jahren. (Bild: Privatalbum)

Aufstieg zum Piz Mundaun: Skilager in den 60er-Jahren. (Bild: Privatalbum)