Die Zeit der Heissgetränke ist da und mit ihr das Problem des Verschüttens. Doch die Wissenschaft weiss, wie Kaffee und Co. ohne Malheur eingegossen und transportiert werden können.
Eigentlich ist es ja ganz einfach: Wer seinen Kaffeebecher nur etwa bis zur Hälfte auffüllt, kann ziemlich sicher sein, dass er beim Transport durch das Büro nichts von der kostbaren Flüssigkeit verschüttet – da müsste man schon ein arger Grobmotoriker sein. Aber mal ganz ehrlich: Wer macht das schon? Selbstverständlich giesst man den Becher randvoll und wundert sich dann, dass er alle paar Meter überschwappt.
Aber das muss nicht sein, denn es gibt ja die Wissenschaft, und Experten aus aller Welt haben sich inzwischen dem Thema angenommen und jede Menge Tipps und Tricks erarbeitet, die das Verschütten erfolgreich verhindern könnte. Schon die erste grosse Herausforderung auf dem Weg zum vollendeten Kaffeegenuss kann so ganz ohne Kleckern gemeistert werden: das Eingiessen des Heissgetränks.
Das meint zumindest Frieder Mugele, Fachmann für die Physik komplexer Flüssigkeiten an der niederländischen Universität Twente: «Zu Beginn gelingt es, mit Schwung einzugiessen. Wenn die Tasse dann aber beinahe gefüllt ist und man die Fliessgeschwindigkeit reduziert, tritt ein unerwünschtes Strömungsmuster auf und es tropft.» Mugele kennt aber eine Abhilfe.
«Mit einer scharfen Abrisskante am Ausgiesser landet mehr Kaffee in der Tasse.»
Mit anderen Worten: Das eigentliche Problem ist der Ausgiesser. An einer scharfkantigen Abrisskante reisst der Flüssigkeitsstrom schneller und gezielter ab als an einer weichen, wulstigeren, an deren Form und Material er bei langsamerem Ausgiessen förmlich kleben bleibt. Daher empfiehlt der Wissenschaftler auch, bei Ausgiessern mit weichen Formen, wie man sie etwa von Keramik- oder Glaskannen her kennt, einen Streifen (hydrophoben) Tesafilm an der Aussenseite der Tülle anzubringen, an dessen scharfer Kante der Flüssigkeitsstrom dann besser und vor allem gezielter abreissen kann.
Es gibt natürlich auch noch eine andere Möglichkeit. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere ja noch daran, wie die Grossmutter das Problem früher gelöst hat. Sie befestigte nämlich einfach ein kleines Schwämmchen unter dem Ausguss der Kanne, das die herablaufenden und kleckernden Tropfen kurzerhand aufgesaugt hat. Echte Hingucker sind aber wohl weder der Tesafilmstreifen noch das kleine Schwämmchen, so dass eine Edelstahlkanne mit scharfkantigem Ausgiesser dann vielleicht doch die ästhetisch ansprechendere Wahl ist.
Aber wie geht es nach dem Eingiessen weiter? Rouslan Krechetnikov und Hans Mayer haben das an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara näher erforscht.
Das eigentliche Dilemma beginnt den Wissenschaftlern zufolge nämlich schon gleich beim Loslaufen.
«Das Losgehen aus dem Stand erzeugt eine initiale Welle im Becher», hat Strömungsphysiker Krechetnikov herausgefunden, «die sich immer mehr aufschaukelt.»
Und weiter: «Nach sieben bis zehn Schritten, also etwa vier bis fünf Metern, kommt es dann in der Regel zum Überschwappen des Kaffees.» Dies stellte Physiker Krechetnikov in seinen Experimenten fest. Ein abruptes Losgehen, eine starke Beschleu- nigung und eine ebensolche Endgeschwindigkeit wirkten sich negativ auf das Ergebnis aus, was aber wohl auch nicht weiter verwunderlich sein dürfte.
Wie weit die Versuchsteilnehmer in den Experimenten kamen, ohne ihren Kaffee zu verschütten, hing aber auch davon ab, ob sie beim Gehen auf den Kaffeebecher fokussiert waren und sich Mühe gaben, diesen keinen Moment aus den Augen zu lassen, um nichts zu verschütten. Das funktionierte nämlich deutlich besser, als einfach so draufloszulaufen. «Der markante Unterschied zwischen fokussiert und nicht fokussiert deutet darauf hin», resümiert Krechetnikov, «dass das Gehen mit dem Kaffeebecher ein Kontrollproblem ist.»
So fragt sich also, ob und wie man diese Kontrolle maximieren kann. Der Koreaner Jiwon Han von der Minjok-Leadership-Akademie in Gangwon-do hat gleich mehrere Antworten anzubieten. Zum einen hat er bei seinen Versuchen herausgefunden, dass der Kaffee im Becher deutlich niedrigere Wellen schlägt, wenn der Becher nicht wie gewohnt am Henkel getragen wird, sondern mit dem sogenannten «Klauengriff». Also mit leicht abgespreizten und gekrümmten Fingern von oben am Becherrand angefasst und getragen wird.
Vor allem die berüchtigte erste Welle, die beim Loslaufen entsteht, lässt sich seinen Forschungen nach auf diese Weise signifikant verringern. Jiwon Han hat aber noch einen weiteren Geheimtipp auf Lager: «Gehen Sie rückwärts!» Zum einen fokussiere man sich so automatisch noch stärker auf den Kaffee im Becher und gehe dementsprechend vorsichtiger, meint Han. Zum anderen reduziere der Rückwärtsgang die Schwingungen, die durch das Gehen auf die Flüssigkeit übertragen werden und so das Getränk überschwappen lassen.
«Vielleicht weil wir es nicht gewohnt sind, rückwärts zu gehen, werden unsere Gehbewegungen unregelmässiger», erläutert Han den positiven Effekt. Mit anderen Worten: Das systematische Aufschaukeln der Flüssigkeit im Becher, das durch die Regelmässigkeit unserer Gehbewegungen beim Vorwärtsgang zu Stande kommt, wird durch die unregelmässigen Bewegungen des Rückwärtsgehens behindert.
Andererseits ist das mit dem Rückwärtsgehen natürlich so eine Sache: Man sieht halt nicht, wohin man läuft, und so lauern nun ganz andere Gefahren auf dem Weg. Es gibt aber noch einen weiteren Trick, das Überschwappen des Getränkes beim Gehen zu verhindern: Milchschaum auf dem Kaffee oder Kakao.
Jean Cappello von der Universität Princeton in New Jersey, USA, und sein Team haben nämlich herausgefunden, dass schon eine Schaumschicht von nur sechs Millimetern Höhe ausreicht, um ein Aufschaukeln des Getränkes effektiv zu unterbinden. Die Liebhaber von Kakao, Cappuccino, Latte macchiato und Co. sind demnach also klar im Vorteil.
Und wenn all diese Tricks nicht geholfen haben und Kaffeeflecken auf Teppich oder Sofa gelandet sind, gibt es immer noch diesen Geheimtipp: Zuerst die Flüssigkeit mit einem saugfähigen Küchentuch aufnehmen, dabei aber nur tupfen und nicht wischen. Anschliessend mit lauwarmen Wasser vorsichtig nachreinigen. Aber auch hier gilt wieder: Nur tupfen und auf keinen Fall wischen. Wenn dieser Reinigungstrick richtig beherrscht wird, ist das Kleckern ja eigentlich gar nicht mehr so schlimm.