Spielen trägt viel zu einem guten Leben bei, sagt unser Glückskolumnist Sigmar Willi. Und: Verspielheit bringt ganz konkrete Vorteile.
Alle paar Wochen sind am Sonntagabend meine erwachsenen Kinder samt Entourage bei mir zu Gast. Üblicherweise setzt schon beim Apéro ein wildes Palaver ein und bauscht sich beim Abendessen weiter auf. Diese herrliche Lebhaftigkeit hat nur einen Nachteil – sie lässt die introvertierten Charaktere wenig zu Wort kommen.
Deshalb kam mir die Idee, nach dem Essen Lotto zu spielen und so alle mehr zu integrieren. Ausgefallene Preise sammelte ich auf Reisen und im 5-Franken-Shop. Zunächst überrascht ob dem Rückfall in Kindheitstage, aber dann voller Elan haben alle mitgemacht. Wir lachten und klopften Sprüche. Im Spiel wurden aber auch die unterschiedlichen Charaktereigenschaften augenscheinlicher – wir lernten uns wieder ein bisschen besser kennen.
«Leute hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden, sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen!»
Dieser Spruch kommt nicht von ungefähr – tatsächlich ist es so, dass Spielen viel zu einem guten Leben beiträgt. Es gibt wohl kaum Tätigkeiten, in denen sich so viele Charakterstärken vereinen wie im Spiel: Neugier, Engagement, Enthusiasmus, Kreativität, Ausdauer, Fairness, Teamwork, Hoffnung, Sinn für das Schöne und natürlich Humor – sie alle können im Spiel gleichzeitig auftreten und ihre stärkende Wirkung auf menschliche Ressourcen entfalten.
Spielen bezieht sich nicht nur auf die enge Definition «ein Spiel machen», sondern auch auf den Sport, die Musik, die Kunst oder das Theater. Auch am Arbeitsplatz erscheinen Formen von Verspieltheit: Strategie- oder Teamentwicklungen werden häufig mit erlebnispädagogischen Elementen kombiniert. Sei es durch Modelle, die man gemeinsam baut, oder durch Vertrauensübungen. Auch gemeinsame Sportanlässe wie Firmenläufe oder Skiweekends haben spielerischen Charakter. Einen Boom erleben zurzeit spieltypische Elemente in einem spielfremden Kontext, was als Gamification bezeichnet wird. Durch die Integration beispielsweise von Fortschrittsbalken, Ranglisten oder Auszeichnungen sollen Motivationssteigerungen oder Verhaltensänderungen erreicht werden.
Die Vielzahl der Anwendungsformen macht es gar nicht so einfach, Spielen zu definieren. In der Positiven Psychologie ist Spielen durch ein Verhalten gekennzeichnet, das einem Selbstzweck dient, intrinsisch motiviert ist, eine neue Realitätsebene schafft und wiederholt werden kann. Mit Verspieltheit ist das Persönlichkeitsmerkmal gemeint, also die zeitlich stabile und in verschiedenen Situationen gleich auftretende Disposition zu bestimmten Verhaltensäusserungen.
Der bekannte Humorforscher Paul McGhee sieht den Humor als eine Variante des Spielens, nämlich das Spiel mit Ideen.
Welche Vorteile bringt Verspieltheit nun konkret? Wissenschaftlich fundiert sind die folgenden: Höhere Heiterkeit, bessere schriftlichere Prüfungsleistungen, stärkere Präferenz für Charme, Attraktivität, Bindung, Nähe und Liebe. Gerade in Partnerschaften bedeutet eine höhere Ausprägung an Verspieltheit, dass der Liebesstil weniger durch eine karriere- und leistungsbetonte Orientierung bestimmt wird. Verspielte Menschen sind grundsätzlich offener, herzlicher, kommunikativer und erleben inneren kindlichen Spass. Sie verbringen viel Zeit damit, Dinge herzustellen, zu verändern und nach der Schönheit in den Momenten zu suchen. Verspielte Menschen weisen nachweislich höheres Wohlbefinden und insgesamt eine höhere Lebenszufriedenheit aus.
Einige werden sich jetzt die Frage stellen, wie sie sich das Spielen in all seinen vielen Facetten wieder mehr angewöhnen können. Wer den Sinn und den Nutzen des Spielens einsieht, wird Wege finden. Hier ein paar Anregungen für den Alltag: Bei einem Spaziergang auf einem Baumstamm balancieren, das klassische Deux-Piece mit einem verspielten Schal aufpeppen, in einem Meeting beim Traktandum «Varia» ein lustiges Youtube- Video zeigen, einen Schnee-Engel machen, mal wieder Minigolf spielen, zu Drei-König den ganzen Tag mit der Krone herumlaufen, dem Partner Jassen beibringen oder mit einem Kuscheltier im Arm einschlafen – nur weil es gut tut! Am einfachsten hat es, wer von kleinen Kindern umgeben ist – sich einlassen und mitmachen genügt. Kurzum: Dinge tun, die nicht unmittelbar einen Sinn machen, die einem Impuls folgen, die eben etwas kindlich Verspieltes haben.
Ich freue mich darauf, am kommenden Teamanlass mit meinen Mitarbeitenden aus dem Escape-Room zu flüchten und vor allem darauf, meinen grossen Kindern allerlei Spielerisches unter den Weihnachtsbaum zu legen.
Die Positive Psychologie verarbeitet die Ergebnisse der Glücksforschung. Was macht das gute Leben aus, wie kann es gefördert werden? In dieser Kolumnenreihe geht der Autor auf Einzelthemen der Positiven Psychologie ein.