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Leben
Die Schweizer rechnen mit einschneidenden Veränderungen in der Arbeitswelt, aber die Mehrheit ist überraschend zuversichtlich.
Sterben muss jeder. Aber arbeiten müssen wir alle auch. Oder wir alle wollen arbeiten. Denn bei uns gilt: arbeiten = dazugehören. Wer nicht arbeitet, ob freiwillig oder nicht, spürt das. In der Schweiz herrscht oft auch die Meinung, dass wer arbeiten will, das auch kann. Arbeit ist bei uns auf Erwerbsarbeit fixiert. Natürlich reden wir von «Freiwilligenarbeit» oder «Hausarbeit», aber – seien wir ehrlich – «richtige» Arbeit ist das nicht. Und weil das so ist, muss es Arbeitgeber geben. Sie geben primär nicht Arbeit, sondern Lohn. Und wenn wir von «Arbeit der Zukunft» reden, sollten wir das im Auge behalten.
Ein wichtiger Bestandteil des «Erfolgsmodells Schweiz» ist die hohe Partizipation am Arbeitsmarkt. So viele Leute wie bei uns arbeiten nicht überall. Das bezahlen wir aber mit Einbussen bei der Arbeitsproduktivität. Andere Länder haben mehr Output pro Stunde und pro Arbeitnehmer. Da sind wir – im Gegensatz zu anderen Erfolgsfaktoren – nicht an der Spitze. Das bedeutet: Es gibt Arbeitgeber, die sich das leisten wollen, können oder müssen. Je nachdem, wie man es sieht.
Beruhigend ist, dass die absolute Mehrheit der Beschäftigten mit ihrem Job zufrieden ist. Das Buchprüfungs- und Beratungsunternehmen EY (Ernst & Young) liess das Unternehmen YouGov insgesamt 2025 Menschen in der Schweiz befragen, wie sie sich momentan an ihrem Arbeitsplatz fühlen (1230 Befragte hatten einen Job) und wie sie sich die Zukunft der Arbeit vorstellten. 86 Prozent der Beschäftigten sind mit ihrer derzeitigen Berufstätigkeit «zufrieden» oder «eher zufrieden». 77 Prozent schätzen ihren Job in der Zukunft als «sehr sicher» oder «ziemlich sicher» ein. Ältere sind etwas zufriedener, Leute mit niedrigerem Einkommen sehen die Jobsicherheit nicht ganz so optimistisch. Und nur 10 Prozent wollen innerhalb des nächsten Jahres den Arbeitsplatz wechseln. Das Zwischenmenschliche schätzen Leute in der Schweiz hoch ein. Ein gutes Verhältnis zu Kollegen, Anerkennung der Arbeitsleistung und ein gutes Verhältnis zu den Vorgesetzten – das sind wichtige Dinge. Jüngere schätzen das Verhältnis zu den Kollegen, die Jobsicherheit und die guten Karrierechancen tendenziell etwas höher ein als Ältere.
Nun reden aber alle vom Umbruch. Von Industrie 4.0, von Digitalisierung, von Roboterisierung und Disruption. Eine Menge Sachen werden sich ändern. Und das wirkt sich auch bei den Antworten aus. Insgesamt lässt sich «Unsicherheit» feststellen. Wobei die Bezeichnung «diffus» hier durchaus am Platz ist, denn die eine grosse Herausforderung wird nicht genannt.
Natürlich werden «Digitalisierung», «weniger Arbeit für alle», «Automatisierung» und «Life-Work-Balance» oft genannt. Einig ist man sich weitgehend, dass sich die Jobs in der Zukunft verändern werden. Natürlich rechnet auch die überwiegende Mehrheit damit, dass das Arbeitsleben in Zukunft stressiger und schneller werden wird, dass man mehr leisten muss und dass es mehr Roboter und Computerlösungen im Arbeitsprozess geben wird.
nteressanterweise beträgt der Anteil jener, welche die Einflüsse der modernen Technologien auf den Arbeitsprozess eher skeptisch sehen, rund einen Drittel der Befragten. Aber die Veränderung stufen 37 Prozent als Chance ein (Männer 41 Prozent; Frauen: 32 Prozent).
Was auffällt, ist, dass offenbar die meisten Befragten davon ausgehen, dass sich an der grundlegenden Beschäftigungssituation nicht viel ändern wird. Von Begriffen wie «Clickworker» oder «Gig Economy» haben nur ganz wenige der Befragten überhaupt gehört. Dabei wären die für die Beschäftigungssituation mindestens ebenso wichtig wie «Artificial Intelligence» oder «Share Economy». «Clickworker» nannte man die Leute, welche die Bilder vom Mars auswerteten. Sie mussten die Krater, die sie auf den Bildern sahen, markieren und anklicken – eine eher eintönige, wenig sinnvolle Arbeit. Unter «Gig Economy» versteht man eine Wirtschaftsform, in welcher der Arbeitsprozess in viele kleine Aufträge aufgeteilt wird, die an Freiberufler ausgelagert werden können.
Wird es auch in Zukunft immer noch genügend Arbeitgeber geben, welche gut bezahlte Fulltime-Jobs anbieten? Natürlich mit garantierter Work-Life-Balance und all den anderen Dingen, welche den jungen Leuten gut gefallen? Man könnte das meinen. Die Studie «Junge Schweizer 2018» der NextGen Marketing Agentur jim & jim nennt «Work-Life-Balance, Flexibilität im Job und eine positive Arbeitsatmosphäre». Das müsse ein Arbeitgeber bieten, wenn er «junge Talente anlocken und halten» wolle. Geld, Status und so reiche den Generationen Y und Z nicht.
Wie viele dieser Generationen sind «junge Talente»? Die Frage bleibt ebenso offen, wie die, was mit all den «jungen Talenten» an der südlichen Peripherie Europas los ist. Die werden ja nicht gerade in Scharen von den Arbeitgebern «angelockt».
Kein Zweifel: Die hohe Beschäftigungsrate in der Schweiz ist das Ergebnis einer konsensorientierten Arbeitgeberkultur. Die ist historisch gewachsen, man sollte ihr Sorge tragen. Natürlich trägt die Politik ihren Teil bei, indem sie dem Arbeitsmarkt die nötige Flexibilität lässt. Ausländische Firmen, die trotz der hohen Löhne in die Schweiz kommen, schätzen das.
Überraschenderweise antworteten 45 Prozent der 16- bis 24-Jährigen auf die Frage, wer verantwortlich sei für die zukunftssichere Jobgestaltung mit: «Der Staat». Den Arbeitgebern trauten das nur 29 Prozent zu. Bei den über 55-Jährigen ist es umgekehrt: Staat 18 Prozent, Arbeitgeber 48 Prozent. Zwei Interpretationen sind möglich: Die Jungen misstrauen der Wirtschaft und den Arbeitgebern. Sie halten es für nötig, dass der Staat mit gesetzlichen Vorgaben eingreift, um die Jobsicherheit zu erhalten. Oder sie vertrauen darauf, dass der Staat die soziale Hängematte bereitstellt. Wie jener Lehrling, von dem ein Bekannter erzählte, der nach diversen Verwarnungen gefragt wurde, was er denn mache, wenn sein Ausbildungsvertrag gelöst würde, antwortete: «Der Staat wird für mich schauen.»