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Leben
Nach der Geburt der genveränderten Babys in China ist die wissenschaftliche Welt in Aufruhr. Über die ethischen Probleme diskutierten Zell- und Genomforscher an der ETH Zürich vor vollen Rängen.
Der grösste Hörsaal an der ETH Zürich ist gerappelt voll. Die «Crispr-Babies» locken die Studenten in Scharen. Jene genmanipulierten chinesischen Zwillinge, mit welchen der Wissenschafter He Jiankui die Welt schockiert hat. Mit dem Gen-Editier-Werkzeug Crispr/Cas 9 hat der Chinese das Erbgut von gesunden Embryonen so verändert, dass diese vom HI-Virus verschont bleiben sollen, das ihr Vater trägt.
Versuche am Menschen: Der weltweite Tenor war eindeutig, die Arbeit He Jiankuis gilt als ein Verbrechen. Ein Eingriff in die Keimbahn ist nicht erlaubt. «Doch eigentlich wissen wir gar nicht genau, was bei diesem Experiment alles passiert ist», sagt die Bio-Ethikerin Effy Vayena, welche die ETH-Veranstaltung «#CRISPRbabies» moderiert. Neben ihr sitzen die führenden Köpfe dieser Forschung: Der Genombiologe Jacob Corn, der Stammzellbiologe Gerald Schwank, der ehemalige ETH-Präsident und Zell-Biologe Ernst Hafen sowie der US-Autor und «New York Times»-Kolumnist Carl Zimmer.
Und weil man so wenig weiss über den Forscher und sein Experiment sind die Reaktionen im Hörsaal heftig, als plötzlich ein chinesischer Student das Wort ergreift. Er hat an derselben Universität wie He Jiankui studiert und sass bei diesem in Vorlesungen. Sofort wird der Student in die Runde der Professoren gebeten. «Wir haben gleich ein paar Fragen an Sie», sagt Jacob Corn.
Der Student ist besorgt, nicht zuletzt auch um seine Karriere. Im Hörsaal hat er zuvor einen Post-it-Zettel auf die Pinnwand geklebt, auf dem er fragt, ob dieser Fall die Sicht auf die Forschung in China verändere, und ob Studenten der «Southern University of Science and Technology» in Shenzhen überhaupt noch akzeptiert würden an der ETH Zürich. Tatsächlich haben auch die chinesischen Forscherkollegen das Experiment Jiankuis scharf verurteilt, die Universität kam stark unter Druck und hat den Wissenschafter suspendiert.
Doch die ETH-Professoren beruhigen den chinesischen Studenten: Eine generelle Ächtung dieser Universität und deren Studenten werde es nicht geben. Und China sei zu wichtig in der Forschung, nicht nur beim Gen-Editing, sagt Corn. Der Student erklärt danach, er habe He Jiankui als freundlichen und sehr interessanten, innovativen Forscher kennengelernt.
Dieser Fall werfe die Frage auf, wie weit man mit Gen-Editing gehen wolle, sagt Effy Vayena und rätselt über die Motive Jiankuis. Die sind auch Corn unklar: Der Forscher sage, er habe die Weitergabe von HIV verhindern wollen. Doch dafür gebe es andere Wege. Vielleicht gehe es halt doch um ein wissenschaftliches Rennen – der Erste sein zu wollen. So wie vor 40 Jahren, als mit Louise Brown das erste durch künstliche Befruchtung gezeugte Baby zur Welt gekommen ist. Immer drehe es sich dabei um die Frage, ob aus einer neuen Technik ein Vorteil für die Menschheit oder doch nur ein weiteres Risiko entstehe, sagt Gerald Schwank. Von diesem Experiment mit der HIV-Verhinderung profitierten auf jeden Fall nur wenige.
«Trotz des grossen Potenzials der Gen-Editierung: Die Technik ist noch nicht ausgereift.»
Für Carl Zimmer ist klar, dass man eine solche Technik nicht von vornherein verurteilen kann und es dabei verschiedene Ebenen von Ethik gibt. «Nutzt man diese als Therapie gegen die Huntington-Nervenkrankheit, ist das ok. Nicht aber, wenn man damit Menschen grösser machen will oder ähnliches», sagt Zimmer.
Dass dieser Forscher sozusagen im stillen Kämmerlein seine Crispr-Babys hat aufwachsen lasen, wirft die Frage nach Regulation und einem Moratorium auf: Von einer Technik, auf der viele Hoffnungen gründen, weil Crispr/Cas9 eine einfache und kostengünstige Methode ist und neue Möglichkeiten bietet, Krankheiten zu heilen und auch die Lebensumstände vieler Menschen zu verbessern – nicht nur in der Medizin.
Von einem Moratorium hält Corn wenig. In Grossbritannien, China und den USA gebe es bereits eine stark regulierte Forschung, in der menschliche Embryonen mit Crispr/Cas verändert werden. Nach Gesetz dürfen diese Embryos nicht länger als 14 Tage am Leben gelassen werden. Das hält Corn für richtig und rät wie Zimmer, nicht überzureagieren. Gehe es um den Einsatz dieser Technologie, spreche man von Menschen mit schweren Krankheiten, die sonst keine Aussicht auf Heilung hätten. «Solchen Patienten in die Augen zu schauen und zu sagen: Wir können das tun, aber wir machen es nicht, ist schwierig», sagt Corn. Man dürfe nicht mit Verboten von neuen Gen-Methoden deren Hoffnungen zunichte machen.
Zimmer sagt, verschiedene Forscher hätten ihm während seiner Laufbahn den geklonten Menschen prophezeit, gesehen habe er noch keinen. Hält er auch einiges für Bluff, die Crispr-Babies nicht. Und was die Regulation solcher Experimente betrifft, ist Zimmer pessimistisch. «Die Methode ist billig und Standard in der medizinischen Praxis. Die Kliniken in den USA sind ausser Kontrolle. Zu viel Geld, zu viele Anwälte. Die Kliniken versprechen, diese und jene Krankheit zu heilen. Ich sehe nicht, wie man das kontrollieren könnte», sagt der Kolumnist.
Auch Biologie-Professor Ernst Hafen hält He Jiankuis Crispr-Babys nicht für eine Falschmeldung. Im Verdeckten sei sicher schon viel experimentiert worden. «Ich glaube, dass er es gemacht hat», sagt Hafen. Technisch sei das nicht so schwierig. «Wir reden hier von einer Methode, welche die Natur in der Welt der Bakterien schon 3,5 Milliarden Jahre lang anwendet und die nun vom Menschen für seine Zwecke entdeckt worden ist», sagt Hafen. In der Evolution habe sich die Methode nur in einer Nische durchgesetzt. Als Revolution will er die Methode somit nicht sehen.