Unsere Nachbarn, die Bauarbeiter

Bauarbeiten können Anwohnern und Bewohnern ziemlich auf die Nerven gehen. Lärm und Umtriebe werden umso stärker empfunden, je länger sich der Bau hinzieht. Mieter können wenigstens eine Mietzinsreduktion geltend machen.

Fredi Kurth
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Ein Beispiel: An einem Ort sind die Leute schon eingezogen, nebenan wird noch gebaut (Bauprojekt in Tübach). (Bilder: Ralph Ribi)

Ein Beispiel: An einem Ort sind die Leute schon eingezogen, nebenan wird noch gebaut (Bauprojekt in Tübach). (Bilder: Ralph Ribi)

Mit der Zeit kennt man die Bauarbeiter besser als die Nachbarn. Die Bauarbeiter – das sind liebe Leute, die nett grüssen und rasch den Lastwagen umparkieren, wenn die eigene Arbeit ruft. Sie können am wenigsten etwas für die Unannehmlichkeiten. Dennoch: Wenn die Ruhe eines Tages durch auffahrende Bulldozer gestört ist, bereitet das Wohnen nicht mehr die selbe Freude.

Attilio Mazenauer* gehört zu den Leuten in einer Wohnsiedlung am Bodensee, die seit rund eineinhalb Jahren um- und ausgebaut wird. Sein Wohntrakt ist in das Projekt nicht einbezogen, aber Lärm und Umtriebe haben er, viel mehr noch seine Frau und seine Kinder bis zum heutigen Tag zu ertragen. Zu den Umtrieben gehört, dass mal die Heizung, dann der Strom, schliesslich das Wasser abgeschaltet wird.

Ähnliches erleben jene Bewohner, die kürzlich eingezogen sind und realisieren, dass ihre Freude über ihr Zuhause noch monatelang durch Bauarbeiten getrübt ist: Der Nachteil, wenn ein Bauprojekt gestaffelt realisiert wird.

Anspruch auf kleineren Mietzins

Das Hauptproblem: Ist die Baubewilligung erteilt, kann von den Anwohnern und Mietern nicht mehr viel unternommen werden. Sie haben jedoch Anrecht auf eine Mietzinsreduktion (Art. 259d OR), weil ihre Wohnqualität beeinträchtigt worden ist. Jene richtet sich nach der Stärke der Einbusse, wobei diverse Bundesgerichtsentscheide vorliegen. «Die Beurteilung ist nicht einfach, weil verschiedene Faktoren berücksichtigt werden müssen und sich summieren können», sagt Cyrill Zumbühl, Leiter des Rechtsdienstes beim Hauseigentümer-Verband in St. Gallen. Die Reduktion beträgt in der Regel zwischen 10 und 35 Prozent (Grafik rechts).

Der Vermieter wird belangt

Wichtig: Den Erlass hat der Vermieter zu gewähren. Hat er dafür kein Verständnis, muss der Mieter die Forderung bei der Schlichtungsstelle einreichen. Vom Mieter nicht belangt werden kann in der Regel der Verursacher des Baulärms, der Bauherr oder der Bauunternehmer. Der Vermieter muss somit auch dann klein beigeben, wenn er gar nicht schuld ist am Lärm, sondern bloss in der Nachbarschaft seines vermieteten Gebäudes kräftig gebaut wird. Cyrill Zumbühl hatte kürzlich vor der Schlichtungsstelle einen solchen Fall zu vertreten, bei welchem der Vermieter gegenüber den Mietern eine Reduktion von 20 bis 30 Prozent einzuräumen hatte. «Aber der Mieter muss in der Regel selber aktiv werden», sagt er.

Der Vermieter seinerseits, sofern er nicht selber Bauherr ist, kann allerdings die Mietzinsreduktion beim Bauherrn in der Nachbarschaft geltend machen in der Höhe des Betrags, auf den er selber gegenüber seinem Mieter verzichten muss. So hat erst vor kurzem das Bundesgericht entschieden (BGE vom 16.8.2005 publ. in mp 2/06 134).

Was am meisten lärmt

Das Ausmass und somit der Anteil der Reduktion werden in einem komplizierten Verfahren festgelegt. Die lärmintensive Phase fällt naturgemäss am meisten ins Gewicht: jene, in der gebaggert, betoniert, gewalzt wird – Lärm durch Kompressoren, Transformatoren, Material entladen und so weiter. Verschärfend wirken Nachtarbeiten ausserhalb der Zeitfenster von 7 bis 12 und 13 bis maximal 19 Uhr. Besonders lärmintensiv sind Bauten in der Höhe, wenn ein Dach aufgestockt oder ein Estrich ausgebaut wird.

Zins an die Schlichtungsstelle

Der Mieter kann vom Vermieter die Lärmbeseitigung verlangen und die Hinterlegung des Mietzinses androhen. Er kann nur künftig fällig werdenden Mietzins bei der von der Schlichtungsstelle bezeichneten Stelle (Stadtkasse) hinterlegen. Mit der Hinterlegung gilt der Mietzins als bezahlt. «Viele versäumen dann allerdings die Frist von 30 Tagen, innert welcher der Mieter Klage bei der Schlichtungsstelle einleiten muss», sagt Cyrill Zumbühl, «in diesem Fall fallen die hinterlegten Mietzinse dem Vermieter zu. Das Verfahren ist sehr komplex und formell, weshalb die entsprechenden Bestimmungen von Art. 259g ff. OR genau einzuhalten sind.»

Ob jemand während der Bauarbeiten häufig zu Hause ist, ein pensioniertes Ehepaar zum Beispiel, hat keinen Einfluss auf die Mietzinsreduktion. Auch ein Student, der sich in aller Ruhe auf eine Prüfung vorbereiten sollte, kann sich keine zusätzlichen Prozentpunkte addieren lassen. Die Mietzinsreduktion wird nach objektiven Kriterien festgelegt.

Machtlose Wohneigentümer

Ganz ausgeschlossen von Schadenersatz sind Hausbesitzer und Besitzer von Eigentumswohnungen – weil sie keine Vermieter haben, die sie belangen können. Allerdings könnten sie bei übermässigem Baulärm in der Nachbarschaft beim Bauherrn vorstellig werden oder eine Zivilklage einreichen. «Übermässiger Baulärm ist indessen sehr schwierig nachzuweisen, da ja durch Massnahmen in der Regel ein Bauunternehmen bereits das Nötigste vorgekehrt hat», sagt Cyrill Zumbühl.

Dann bleibt nur die Hoffnung, dass die lärmigen Maschinen eines Tages schweigen – mögen die mit unserem Kaffee versorgten Bauarbeiter noch so nett sein.

*) Name geändert

Typisch: Neubau am Altbau.

Typisch: Neubau am Altbau.

Cyrill Zumbühl, HEV St. Gallen.

Cyrill Zumbühl, HEV St. Gallen.