Dass gewisse Gehirnregionen über spezifische Fähigkeiten verfügen, wusste man. Jetzt wird klarer, wie sie zusammenarbeiten.
Das menschliche Gehirn st das komplexeste Stück Materie im Universum, soweit uns das bekannt ist. Rund 86 Milliarden Nervenzellen, die mannigfaltig miteinander verschaltet sind, sorgen dafür. Andererseits sieht es auch ziemlich amateurhaft zusammengestoppelt aus. Kein Wunder, denn das Gehirn ist erst im Lauf der Evolution zu dem Organ geworden, wie wir es heute benutzen. So kann man Strukturen unterscheiden, die verschiedene Funktionen erfüllen, aber auch aus verschiedenen Epochen der Evolution stammen.
Erich von Däniken verbreitete in seinen Büchern die Theorie von den «Astronautengöttern», welche in dunkelster Vorzeit unseren Planeten besucht und unsere Vorfahren intelligent gemacht hätten. Natürlich haben sie sich evolutionärer Mechanismen bedient, versichert von Däniken. Aber grosses ingenieurtechnisches Wissen dürften die «Götter» nicht gehabt haben. Sonst wäre es wohl nicht so schwer, das Gehirn zu verstehen. Besonders das Mysterium «Intelligenz». Welche Strukturen, die bei anderen Tieren noch nicht so ausgeprägt vorhanden sind, machen den Menschen «intelligent»?
Nun haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig zusammen mit dem Forschungszentrum Jülich und anderen Wissenschaftern zwei Achsen identifiziert, welche als Ordnungsprinzipien des Neocortex, des jüngsten Teils des Gehirns, anzusehen sind.
Die eine Achse erstreckt sich vom hinteren Teil zur frontalen Partie der Grosshirnrinde, dem Cortex. Daran zeigt sich eine funktionale Hierarchie von Basisfähigkeiten wie Sehen und motorischer Kontrolle bis hin zu eher abstrakten Fähigkeiten wie Bewusstsein, Gedächtnis und sozialen Kompetenzen.
Die zweite Achse führt vom dorsalen, oberen Teil zum ventralen, unteren Teil des Cortex. Die untere Region scheint mit Funktionen wie Bedeutung und Motivation zu tun zu haben, während die obere Region mit Raum, Zeit und Bewegung beschäftigt ist.
«Dieses vertikale Arrangement korrespondiert interessanterweise mit einer schon länger vermuteten Hypothese des ‹zweifachen Ursprungs› des Neocortex», sagt Sofie Valk, Gruppenleiterin des MPI Leipzig und des Forschungszentrums Jülich. Der Cortex hätte sich demzufolge aus der Amygdala einerseits und des Hippocampus andererseits entwickelt. Die Amygdala (Mandelkern) ist ein Teil des limbischen Systems, das für Emotions- und Furchtreaktionen verantwortlich ist. Der Hippocampus ist eine zentrale Schaltstation des limbischen Systems. Er heisst «Seepferdchen», weil er ähnlich aussieht.
Die Achsen scheinen nach dem Prinzip von wenig differenzierten zu differenzierteren Regionen geordnet zu sein und tauchen in der Säugetierentwicklung schon vor den Primaten auf. Man findet sie auch bei Ratten und Katzen.
Die Achsen-Architektur hilft nicht nur, die genetischen Zusammenhänge bei der Gehirnentwicklung besser zu verstehen, sondern liefert auch eine Art «Kompass», wie die Zusammenarbeit der Gehirnareale funktioniert. Die Achsen sind im Gehirn individuell verschieden angelegt. Das haben Untersuchungen an Zwillingsgehirnen gezeigt. Und man fand auch gewisse Hinweise, dass sich bei Personen mit Autismus und ähnlichen Störungen ähnliche Abweichungen finden lassen.