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Leben
Tausende Demonstranten und Umweltaktivisten kämpften gegen den Abbau von Kohle im Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen. Denn der Rest eines der ältesten Naturwälder Europas sollte dafür gerodet werden. Dies wurde nun gerichtlich verboten – Grund für den aufsehenerregenden Entscheid ist eine kleine Fledermaus.
Ein dichtes Fell, aus dem sich ein spitzbübisches Gesicht mit lustigen Knopfaugen und übergrossen Ohren neugierig umschaut: Auf den ersten Blick sieht eine Bechsteinfledermaus nicht gerade wie ein Widersacher eines grossen Energiekonzerns aus. Und doch gelang diesen gerade einmal zehn Gramm schweren Winzlingen etwas, an dem zuvor Tausende Demonstranten und Umweltaktivisten gescheitert waren: Die kleinen Fledermäuse verhindern vorläufig, dass der Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen gerodet wird, um Platz für Braunkohleabbau zu machen.
Weil Bechsteinfledermäuse oben auf der Rangliste des deutschem Naturschutzrechtes stehen, hat das Oberverwaltungsgericht Münster Ende letzter Woche das Abholzen der Heimat dieser Tiere bis zum Hauptverfahren verboten. Und eine grosse Kontroverse ausgelöst, denn mit dem Kohleabbau sind rund 2000 Arbeitsplätze verbunden.
Die Bechsteinfledermäuse selber lieben grosse Auftritte in der Öffentlichkeit überhaupt nicht. Wie alle Flattertiere in Mitteleuropa fliegen sie am liebsten im Dunkeln. Und weil sie das praktisch ausschliesslich im düsteren Wald tun, wissen selbst Fledermausforscher erstaunlich wenig über diese Art. Über eines aber sind sich alle einig: Sie werden zunehmend verdrängt.
Dabei gibt es in Mitteleuropa doch sehr viele Wälder. «Nur ist totes Holz Mangelware», erklärt Sebastian Kolberg vom Naturschutzbund Deutschland. Gemeint sind damit nicht morsche Ästchen, sondern uralte Buchen und Eichen, von denen grosse Teile bereits tot sind. Dort, wo ein starker Ast abgebrochen ist, gibt es im Astloch eine Höhle, in der die Weibchen ihren Nachwuchs grossziehen.
Mit einer Höhle allein geben sich die Fledermausmütter aber nicht zufrieden, sondern ziehen immer wieder einmal um. Es sollte also ein Wald wie der Hambacher Forst mit seinen bis zu 350-jährigen Stieleichen und Hainbuchen sein. Bei solchen Umzügen klammert sich das Fledermausbaby an den Bauch der Mutter, saugt sich an speziellen Haltezitzen fest. In gemeinsamen Höhlen, einer Art Fledermauskindergarten, ziehen etliche Fledermäuse ihren Nachwuchs gross. In der Nacht lassen die Mütter ihre Kleinen dort allein, um Stechmücken und Schmetterlinge zu jagen, aber auch Käfer und Spinnen, die über Blätter oder auf dem Waldboden laufen.
Im Winter suchen die Tiere sich eine Felsenhöhle oder einen kühlen Keller und verschlafen dort die kalte Jahreszeit, in der sie nichts zu fressen finden. Dabei fällt die Körpertemperatur auf zwei bis zehn Grad ab, und der Organismus läuft auf extremer Sparflamme, damit die Fettvorräte aus dem Herbst bis zum Frühjahr reichen.
«In diesen Höhlen sollte es dauernd kühl und feucht sein, damit die empfindlichen Flughäute der Fledermäuse geschmeidig bleiben», erklärt Sebastian Kolberg. Zu warme Luft würde die Fledermäuse wecken, und beim Aufwachen müssten sie viel Energie sinnlos verpulvern.
Weil die Bechsteinfledermaus obendrein auch noch ungern weite Wanderungen macht, sollten die alten Wälder mit vielen Baumhöhlen und die Felsenhöhlen oder Keller nicht zu weit auseinanderliegen. Solche Kombinationen aber sind sehr selten geworden. Deshalb schützen die Gesetze diese kleinen Fledermäuse und ihre Heimat besonders gut, und folgerichtig hat das Oberverwaltungsgericht Münster die Rodung des Hambacher Forstes vorerst einmal unterbunden.
In der Schweiz sind Bechsteinfledermäuse sehr selten anzutreffen. Aufgrund ihrer Echoortungsrufe können sie aber hin und wieder erkannt werden, wie Martin Obrist von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL sagt.