Sie haben längst ihre exotische Note verloren und gehören nun zu den Klassikern: Kleidung und Accessoires mit tierisch angehauchten Mustern. In diesem Herbst brüllt eine Raubkatze besonders laut; die Designer sind ganz wild nach dem Leoprint. Und das passt prima zur aktuellen Bewegung des «Women Empowerments».
Dieser Herbst wird nichts für scheue Naturen. Während Animalprints im vergangenen Jahr eher zurückhaltend auf Stiefeletten, Taschen, Handyhüllen und hie und da auf einer Bluse auftraten, toben die Tiere sich in der Herbstmode richtig aus. Ihre Fellmuster werden wieder grossflächig getragen, sei es auf dem flauschigen Fake-Fur-Mantel, dem wallenden Seidenkleid oder dem Sportanzug – von Kopf bis Fuss und selbstverständlich echtpelzfrei. Zurückhaltung ist in modischen Gefilden aktuell ein Fremdwort, Maximalismus ist der Schlüssel zum Modeglück.
Wer nun entnervt aufstöhnt und sich fragt, wann endlich die tierischen Drucke aus den Modeläden verschwinden, wird enttäuscht: Kleider und Accessoires mit Animalprints haben zwar längst ihre exotische Note verloren, sind aber wie Karos oder Streifen zum Klassiker unter den Mustern avanciert. Sie werden von Saison zu Saison neu interpretiert und in Trends integriert. So feiern etwa Mäntel aus Kunstpelz in der kommenden kühlen Saison ein Revival, und da ist klar, dass damit auch Leo-, Tiger-, Zebra- und andere Dessins auftauchen.
Die Zeiten, in denen das Tragen solcher Kleidungsstücke als ordinär angesehen wurde (die Leo-Leggings von Peggy Bundy aus der Serie «Eine schrecklich nette Familie» lassen grüssen), sind vorbei.
Eine erste Fashion-Safari auf den Websites einschlägiger Modeketten und Designer lässt keine Zweifel daran, dass im Herbst 2021 der Leopard am lautesten brüllt. Ob bei Lala Berlin als Strick-Kimono, bei der seit jeher vegan produzierenden Designerin Stella McCartney als kuscheliger Mantel oder bei Zara als Blazer: Die charakteristischen Flecken der eleganten Raubkatze dominieren. Und das in allen Farben des Regenbogens. Kombiniert werden die Teile mit monochromen, schlichten XXL-Taschen und derben Boots.
Doch woher kommt unser Durst nach Kleidung mit animalischer Note? Um diese Frage zu beantworten, muss das Feld von hinten aufgerollt werden. In der Steinzeit schützte das Tragen von Fellen nicht nur vor Kälte und Verletzungen, es vermittelte auch Stärke und Macht des Trägers: «Hey, dieses starke Tier habe ich erlegt, sieh dich also vor.» Gerade mit dem Fell einer Urzeit-Grosskatze, die einem Schneeleoparden geähnelt haben soll, war einem der Respekt der Mitmenschen gewiss. Dieses archaische Bedürfnis scheint immer noch in uns zu stecken. Die Trägerin von Mode mit tierischem Dessin markiert sich damit als unabhängige und selbstbewusste Frau, was perfekt zum aktuellen Women Empowerment passt.
Zwei ganz bestimmte Schauspielerinnen trugen dazu bei, dass der Stil heute immer noch so populär ist. Sie machten ihn in den 1960er-Jahren salonfähig. Auf der einen Seite ist da Anne Bancroft, die im Film «Die Reifeprüfung» aus dem Jahr 1967 die Femme fatale Mrs. Robinson mimt (siehe Hauptbild oben). Es geht um Verführung und Dominanz, und da passte der Mantel mit Leoprint, den sie trägt, wie die Faust aufs Auge. Auf der anderen Seite die legendäre Catherine Deneuve, die die Leodesigns ihres Freundes Yves Saint Laurent, der als Erfinder dieses Drucks gilt (damals arbeitete er noch für Dior) französisch nonchalant trug und darin eine wahnsinnig elegante Falle machte.
Doch es geht nicht nur darum, dem Kleidungsstil einer Schauspielerin hinterherzuhecheln. Was am meisten begeistert an den Animalprints: Diese Mode macht einfach Spass; und nach der langen Zeit im goldenen Käfig sind wohl viele ganz wild danach.
Es ist kein Zufall, dass so manch Designer sich am Eskapismus orientiert hat, als die neuen Kollektionen entworfen wurden. Da brauchen auch scheue Naturen nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Ihnen können wir ein schwarz-weiss gestreiftes Teil im Zebra-Look empfehlen. Das wirkt allein schon wegen der Farbgebung zurückhaltender. Und obschon die aktuellen Kollektionen nach der Raubkatze schreien, liess sich an der Copenhagen Fashion Week vor zwei Wochen am Outfit vieler Modeprofis beobachten, dass gerade das Zebra dabei ist, auf der Überholspur links am Leo vorbeizugaloppieren. Es bleibt spannend. Und wild.