Persönlichkeitsentwicklung ist mehr als Selbstoptimierung, schreibt unser Experte fürs Glücklichsein.
Neulich habe ich als Wissenschaftsvertreter an einer Podiumsdiskussion über das Glück teilgenommen und wurde arg in die Mangel genommen. Die praktizierende Psychoanalytikerin, der Musiker sowie der Moderator, im Hauptberuf Schauspieler, warfen mir vor, mit meinen Ansichten den Menschen zu permanenter Selbstoptimierung trimmen zu wollen. Musiker und Schauspieler betonten in ihren Voten, dass die Stimmung entscheidend sei fürs Glück – je nach Umständen oder Tagesform sei man halt glücklicher oder unglücklicher. Die Psychoanalytikerin zitierte vor allem Freud und Jung, deren Aussagen aus meiner Sicht schwer verdauliche Kost waren.
Bedeutet die Positive Psychologie als Anwendungsgebiet der Glücksforschung wirklich einen Zwang zur Selbstoptimierung? Fakt ist, dass dieser neue Zweig der Psychologie an vielen namhaften Universitäten als Ergänzung zur Klinischen Psychologie gelehrt wird. Kritiker dieser neuen Wissenschaft betonen gerne, dass sie den Zufall oder das Schicksal, welches einem manchmal wohlgesonnen ist, manchmal aber auch brutal zuschlägt, ignoriere. Ausserdem seien viele Menschen, gerade in schwierigen Lebenssituationen, gar nicht in der Lage, an sich zu arbeiten, oder würden dies schlicht und einfach nicht wollen. Dies alles wird in der Positiven Psychologie nicht bestritten. Wie in vielen anderen Disziplinen reicht es auch hier nicht, zu wissen.
Persönlichkeitsentwicklung gelingt nur, wenn der Mensch bereit ist, etwas zu ändern.
Dies beginnt häufig mit Selbstreflexion und endet im Einüben von neuen Verhaltensweisen, die das Leben, oder dessen Wahrnehmung, verbessern sollen. Weiss ich zum Beispiel um meine Stärken und fokussiere ich mich stärker auf diese, steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit meiner Handlungen. Und damit auch die Lebenszufriedenheit. Dass viele Menschen ihre Stärken gar nicht kennen oder eine falsche Vorstellung davon haben, kann durchaus Ausgangspunkt von Unglück sein.
In der Positiven Psychologie werden schwierige Lebenssituationen oder melancholische Gemütszustände nicht ausgeklammert, sondern es interessiert die Frage, wie diese schneller und nachhaltiger überwunden werden können. Das Auf und Ab im Leben wird nicht angezweifelt. Nicht diskutierbar als Grundprämisse ist aber, dass das Ziel des Lebens das Streben nach langfristigem Glück, Wohlbefinden und damit Lebenszufriedenheit sein soll. Mit dieser Annahme haben manche Kritiker Mühe.
Die böse Königin im Märchen von Schneewittchen ist eine Selbstoptimiererin.
Sie schaut auf Äusserlichkeiten, auf Ansprüche von anderen, und ihre Werthaltungen entspringen einem ausgeprägten Narzissmus. Solche Menschen glauben, sich selbst und die Welt um sie herum erschaffen zu können. Das hat wenig mit Persönlichkeitsbildung oder Selbstfreundschaft, wie es der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid nennt, zu tun. Ein Selbstfreund gibt sein Bestes, um realistische Ziele zu erreichen und sein Potenzial auszuschöpfen. Der Selbstverliebte ist unter Dauerstress, und Rückschläge wiegen so schwer, dass sie unter allen Umständen verhindert werden müssen. Zum Beispiel auch, indem man das viel schönere Schneewittchen vergiftet.
Ein Selbstfreund gibt sein Bestes, um realistische Ziele zu erreichen und sein Potenzial auszuschöpfen. Der Selbstverliebte ist unter Dauerstress, und Rückschläge wiegen so schwer, dass sie unter allen Umständen verhindert werden müssen. Zum Beispiel auch, indem man das viel schönere Schneewittchen vergiftet.
Den Druck, dass es einem immer gut gehen muss, hält keiner aus.
Wir können aber einen ansehnlichen Teil, wie wir uns fühlen, selbst in die Hand nehmen. Die Positive Psychologie fragt, welche Denkhaltungen, Einstellungen und daraus resultierenden Verhaltensweisen einem guten Leben eher förderlich sind. Stossrichtungen der Forschung auf Stufe Individuum sind positive Erfahrungen, positive Eigenschaften und positive Interventionen. Hier können wir Einfluss nehmen und haben es durch die zwar mühsame, aber lohnenswerte Arbeit der Persönlichkeitsentwicklung selbst in der Hand, häufiger positive Gefühle zu erleben und dadurch unser subjektives Wohlbefinden zu steigern.
Übrigens nahm als fünftes Mitglied an der eingangs erwähnten Podiumsdiskussion eine kantonale Integrationsbeauftragte teil. Sie verstand meine Aussagen und brachte zu meinen theoretischen Konzepten Beispiele aus ihrem Alltag ein. Es war beeindruckend zu hören, wie viele ihrer Klientinnen und Klienten versuchten, sich in ihrer misslichen Lage nicht treiben zu lassen. Die Rezepte, um den Gemütszustand zu heben, entsprachen interessanterweise häufig den Erkenntnissen der Positiven Psychologie. Wer wissen will, wie das geht, dem sei nebst meinen voran gegangen und noch folgenden Kolumnen das Buch des KZ-Überlebenden Victor Frankl, «… trotzdem Ja zum Leben sagen», empfohlen.