Zoo
Seine Raubtiere konnte er retten – musste er dafür sein Lebenswerk zerstören?

Nach zehn Jahren Hickhack hat Dompteur René Strickler für seine Tiere eine neue Heimat gefunden

Heinz Lang
Drucken
Strickler René
4 Bilder
Wasser für die Raubkatzen: In dieser Hitze brauchen die Tiere eine Abkühlung.

Strickler René

Foto: Claudio Thoma / Aargauer Z

Die Sonne brennt über dem Mittelland, das Thermometer zeigt 33 Grad im solothurnischen Subingen. Dompteur René Strickler spritzt seine drei Tiger Amir, Noah und Arisha mit einem Wasserschlauch ab. Die Raubkatzen spielen mit den Wasserstrahlen, geniessen die Abkühlung.

Die Idylle trügt: Rund um den Käfig herrscht Abbruchstimmung. Ein Kran demontiert ein Aussengehege, Arbeiter verladen die Metallgitter in einen Lastwagen. Die Réception des Tierparks zerfällt bereits in ihre Einzelteile, überall liegen Holz und Gerümpel. «Drei Viertel der Anlage sind weg», sagt René Strickler. «In solch einer Situation denkt man logistisch. Es bleibt keine Zeit für Sentimentalitäten.»

Die drei Tiger warten auf den Umzug von Subingen nach Crémines. Ihr neues Zuhause heisst Sikypark, ein Zoo im Berner Jura. Die Pumas und Löwen aus Stricklers Tierbestand haben ihr neues Domizil im schmucken Zoo im Jura bereits bezogen.

In wenigen Tagen ist der Tierpark in Subingen definitiv Geschichte. Der Tierdompteur Strickler hat nach jahrelangem, aufreibendem Mieterstreit mit der Immobilienfirma Espace Real Estate AG seine Raubkatzen gerettet. Doch sein Lebenswerk ist zerstört – oder?

So dramatisch sieht Strickler die Situation nicht: «Der Tierpark war ein wichtiger Lebensabschnitt. Zum Lebenswerk wird aber immer jenes Projekt, an dem ich im Moment arbeite. Früher waren es die Engagements in der weiten Zirkuswelt, später zog ich mit dem eigenen Unternehmen ‹Freundschaft mit Raubtieren› durch die Schweiz, ab 2004 war es der Tierpark und jetzt wird es die Mitarbeit beim Aufbau des Sikyparks zu einem Kulturgut sein.»

«Ich komme, mein Bub»

Manchmal sagt eine Geste mehr als tausend Worte über einen Menschen. Es war der 10. April 2018, der Termin für die Aufrichte des Tigerhauses. Aktionäre, Bauleiter und Architekt, Betriebsleiter sowie René Strickler haben sich an diesem nieselregnerischen Apriltag im Sikypark im bernischen Crémines versammelt. Plötzlich schreit Puma Garfield, der sein neues Quartier bereits bezogen hat. Strickler rennt im Laufschritt quer durch den Zoo zu ihm, lässt alle stehen: «Ich komme, mein Bub.»

Die Interviews mit Tele Züri gibt an diesem Tag sowieso der neue Betriebsleiter des schmucken Zoos, Marc Ziehlmann, der sein Handwerk als Tierpfleger einst bei Strickler gelernt hat. «Hier findet ein Generationenwechsel statt», sagt Sikypark-Verwaltungsratspräsident Werner Ballmer, der auch Unternehmungsberater und Firmensanierer sowie Präsident der Raubtierpark Subingen AG ist.

Stricklers Rolle im Sikypark ist noch nicht klar definiert. Er sitzt im Verwaltungsrat des Zoos und wird in Crémines mit seinen Raubkatzen als Zuschauermagnet in den Aussengehegen Events veranstalten. Auf eine Manege wird verzichtet. «Ich kann mich jetzt auf meine Kernkompetenz konzentrieren, die Arbeit mit den Raubkatzen», sagt Strickler. «Das Tagesgeschäft machen andere, für mich eine glückliche Lösung.»

Geehrt für gute Tierhaltung

21. Oktober 2017, das erste Treffen des Journalisten mit dem Dompteur Strickler in Subingen: Training mit Amir, Noah und Arisha. Die drei Tiger balancieren leichtfüssig trippelnd über einen Balken, springen meterweit durch Reifen. Nach dem zwanzigminütigen Agility-Training steigt der Tiertrainer über die liegenden, Schlaf simulierenden Raubkatzen – eine besonders anspruchsvolle Nummer, die viel gegenseitiges Vertrauen abverlangt. Strickler lobt, tätschelt und gibt den Tigern Küsschen auf die Schnauze, als wären sie Hauskatzen. «Schmusen mit den Tieren ist Bestandteil der Arbeit», sagt er.

Nichts von knallenden Peitschen, autoritärem Gehabe und militärischem Befehlston, dafür viel Zärtlichkeit, Empathie und Respekt. «Es braucht ein gegenseitiges Wahnsinnsvertrauen. Freundschaft, Vertrautheit und Verbundenheit sind die Basis unserer Zusammenarbeit.» Der Tierlehrer erhielt 1999 am Festival du Cirque in Monte Carlo den Ehrenpreis für vorbildliche Tierhaltung.

Strickler wirkt an diesem Tag im Vorführzelt des Tierparks Subingen in seinem roten Pullover und den abgeschossenen Jeans verletzlich, der bald Siebzigjährige scheint müde, aufgerieben, gezeichnet vom zehnjährigen Rechtsstreit mit der übermächtigen Immobilienfirma. Das juristische Hickhack hatte 2016 vor dem Bundesgericht geendet, das die Zwangsräumung des Parks bestätigte.

René Strickler war einst der Ronaldo der Zirkuswelt, einer der grössten Dompteure der Geschichte. 1978 trat er im Zirkus Knie mit neun verschiedenen Raubtierarten auf, vom Eisbären über Löwen bis zum Leoparden. Dies war die artenreichste Raubtiergruppe der damaligen Zeit. Legendär der Sprung eines Panthers aus vier Metern Höhe direkt in Stricklers Arme. Seinem Lieblingslöwen Pat steckte er bei jedem Auftritt den Kopf in den Rachen. «Das war ein Jahrhunderttier», meint Strickler. Über seine eigenen Leistungen spricht er nicht gerne, auch nicht über seine Gabe, mit Tieren zu arbeiten.

Sieben Minuten unter dem Tiger

Keine Angst in der Arena? Strickler warnt: «Zahme Raubtiere gibt es nicht, das bleiben gefährliche Tiere, die dich selbst im Spiel lebensgefährlich verletzen können.» Der 18. Oktober 1988 prägte Stricklers Leben: Beim Circus Roncalli klemmte ein Schieber am Aussengehege, Strickler war unkonzentriert, stolperte, und die Tigerin Tosca fiel über ihn her, verbiss sich in seinem Bein. «Ich lag sieben Minuten unter einem Tiger, Kopf an Kopf, sah dem Tod ins Auge.» Vier Artisten retteten ihn, verscheuchten den wütenden Tiger mit Schreckschüssen. Für Strickler folgten Intensivstation, Notoperationen und die Frage, ob er seinen Beruf nochmals ausüben könne. Nach drei Monaten kehrte er zurück in die Manege. «Geblieben ist eine grosse Demut vor dem Leben», sagt er. Auch die Tigerin musste nicht mit dem Leben bezahlen, sie kam in einen Zoo nach Deutschland, gebar dort Nachwuchs. «Das war ja hundertprozentig mein Fehler, ich war unkonzentriert», sagt Strickler.

Strickler bezeichnet sich selbst als harmoniesüchtig. «Mit mir ist es schwierig, Streit zu bekommen.» Dass die Immobilienfirma während des jahrelangen Rechtsstreites aus ihm einen «Stürmi» machen wollte, trifft ihn. «Ich bin den Landbesitzern nicht böse, es hat die Macht des Geldes regiert. Und das Recht war nach der mehr als fünfjährigen, erkämpften Mieterstreckung auf ihrer Seite.» Dass er selbst dabei fast alles verloren hat, scheint er zu verdrängen. Jedenfalls verliert er wenige Worte über Finanzielles. «Ich bin ein Tiermensch, Geld war nie mein Ding», sagt Strickler, der in jungen Jahren eine Banklehre gemacht hatte, lakonisch. Fakt ist: In Subingen hat er persönlich rund eine Million Franken investiert. Vor fünfzehn Jahren mietete er eine Fabrikhalle mit rund 10'000 Quadratmetern Land. «Wir haben 194 Bäume gepflanzt, elf Aussengehege mit eigenen Händen zusammengeschweisst, eine grüne Oase geschaffen. Mehr als eine halbe Million Menschen besuchten den Raubtierpark.»

Die letzten zwei Jahre lebte Strickler mit seinen Raubtieren illegal auf dem Grundstück. Jeden Tag drohte die polizeiliche Räumung. «Ans Aufgeben habe ich nie gedacht, aus Respekt vor den Tieren habe ich weitergekämpft, alles andere wäre feige gewesen», sagt er. «Würden die Tiere auf andere Zoos oder Zirkusse verteilt, würden sie an gebrochenen Herzen sterben.»

Er, der Tiermensch, glaubte nicht, dass die Menschen so grausam sein könnten. Am 28. Februar 2018 drohte jedoch abermals das definitive Aus für den Tierpark in Subingen. «Der Kanton Solothurn wollte die Enteignung einleiten, das hätte in Subingen Lichterlöschen bedeutet», sagt Werner Ballmer, Präsident der Raubtierpark Subingen AG. Die Aktiengesellschaft übernahm dann die Anlage und die Tiere. Mit diesem juristischen Manöver konnte das Schlimmste verhindert werden.

Bis vor zwei Jahren hoffte der Tierlehrer zudem auf einen Investor, der die geforderten 14 Millionen Franken für das Grundstück hinblättern würde. «Ich war oft zu gutgläubig, glaubte an einen Retter», sagt er im Nachhinein.

Nach den Enttäuschungen will Strickler, der seit 1986 nie in den Ferien war, einen Traum realisieren. Mit siebzig Jahren will er noch fliegen lernen: «Beim Fliegen muss man auf den Punkt funktionieren, etwas beherrschen, was gefährlich ist.» Fliegen und Raubtiere bändigen, so gross scheint für ihn der Unterschied nicht zu sein.