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Schweizer Ärzte erwarten keinen «Angelina-Effekt»

Den Gentest für Brustkrebsrisiken gibt es seit fast 20 Jahren. Bekannt wurde er aber erst durch Angelina Jolies aufrüttelndes Bekenntnis. Für welche Frauen ist der Test sinnvoll und was kommt noch auf uns zu?

Claudia Weiss
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Die Reaktionen kamen schnell und heftig: Angelina Jolies Brüste? Amputiert wegen eines Gentests, der ein Brustkrebsrisiko anzeigte? Der Medienhype war global, der Tenor der Berichterstattung war so gegensätzlich wie jener der unzähligen Leserkommentare: Die einen äusserten Bewunderung, andere waren schlicht schockiert.

Der Fall Jolie berührt in zweierlei Hinsicht. Erstens scheint es schwer fassbar, dass eine der schönsten Frauen der Welt – Hollywoodstar und Supermutter – so scheinbar gleichmütig ihre Brüste der Gesundheit zuliebe geopfert hat. Zweitens verunsichert das Thema «Gentest»: Sollten wir vielleicht auch? Oder müssen wir sogar schon bald? Welche Risiken wollen wir kennen? Und: Was unternehmen wir, wenn wir sie dann kennen? Nicht alle sind zu einem so radikalen Schritt bereit wie die 37-jährige Angelina Jolie.

«Genau das ist aber die zentrale Frage: Was fangen wir mit dem Resultat an?», fragt Ruth Baumann-Hölzle. Die Theologin und Leiterin des Instituts Dialog Ethik schrieb ihre Dissertation über Gentests, und vor kurzem publizierte sie zusammen mit Fachleuten ein Buch zum Thema Brustkrebsrisiko. Sie warnt: «Genetische Untersuchungen überfordern uns oft.» Antworten sind schwierig: «Was beispielsweise», fragt die Ethikerin, «fange ich mit einem Genergebnis an, für das es keine Therapiemöglichkeit gibt?»

Warum die Aufregung?

Beim Brustkrebs-Gentest ist das anders. «Dank dieser Genuntersuchung haben betroffene Frauen eine sehr gute Grundlage, um zu entscheiden, was für ihre Lebenserwartung und -qualität am besten ist», erklärt Hansjakob Müller, emeritierter Professor für medizinische Genetik an der Universität Basel. «Die Untersuchung macht dann Sinn, wenn eine Frau bereit ist, allenfalls die Konsequenzen zu tragen.» Das hat Jolie getan. Aber längst nicht als einzige Frau.

Müller staunt über die Aufregung über ihre Entscheidung: «Diese Testmöglichkeit ist seit fast zwei Jahrzehnten bekannt und wird, falls angezeigt, auch angeboten», sagt er. Es gebe verschiedene Umstände, die einen solchen Test sinnvoll machen (siehe Kasten). «Und längst haben etliche Schweizer Frauen ihre Brüste vorsorglich operieren lassen.» Meist, weil sie die schrecklichen Folgen eines fortgeschrittenen Brust- oder Eierstockkrebses bei ihrer Mutter oder Schwester miterlebt hätten.

Deshalb erwartet Müller trotz «Angelina-Effekt» keinen Run auf Gentests, «Nur etwa 10 Prozent aller Brustkrebspatientinnen haben eine ausgeprägte Brustkrebsveranlagung, und nur 3 Prozent eine Mutation des gleichen Gens wie Angelina Jolie, also des BRCA1-Gens (BReastCAncer1).» Weitere 2 Prozent der Frauen hätten eine Mutation des BRCA2-Gens.

Sogar Entwarnung möglich

In der Schweiz, sagt Müller, seien ohnehin nur medizinisch angezeigte Tests zugelassen, die von Fachärzten angeordnet und in zertifizierten Labors vorgenommen werden. «Das Allerwichtigste dabei ist eine gute genetische Beratung und Begleitung», sagt der Genetiker. Er findet die von Angelina Jolie getroffene radikale Lösung sinnvoll: «Das erspart ihr und ihrer Familie mit grosser Wahrscheinlichkeit viel Leid.» Ob es dann im Einzelfall um 70 oder 85 Prozent Risiko gehe, sei unerheblich: «In jedem Fall ist es signifikant mehr als das Durchschnittsrisiko von 13 Prozent und mit einer Entfernung des Brustgewebes (Mastektomie), der Eierstöcke und Eileiter (Adnexektomie) lässt sich dieses Risiko um mehr als 95 Prozent reduzieren.»

Im besten Fall zeigt ein Gentest kein erhöhtes Risiko an und gibt Entwarnung. Dramatisch wird es dagegen, wenn der Test eine unheilbare Krankheit anzeigt. Ein in Fachkreisen gern genanntes Beispiel ist die Erbkrankheit Chorea Huntington: eine neurodegenerative Erkrankung mit Symptomen wie ruckartigen Bewegungen, Sprech- und Schluckschwierigkeiten und psychischen Störungen bis hin zur Demenz. Wurde die Genveränderung vererbt, tritt sie mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit spätestens mit 50 Jahren auf und führt zum Tod. Therapie gibt es keine, den Trägern dieses Gens bringt der Test nur eines: Gewissheit über ihr Schicksal.

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Keystone

Zwang zur Untersuchung?

Umso mehr beschäftigt viele die Sorge, wir könnten in Zukunft zu Gentests gezwungen werden. In den Vereinigten Staaten, sagt Ethikerin Ruth Baumann, hätten in der Vergangenheit einzelne Firmen ihre Angestellten ohne deren Wissen einem Gentest unterzogen und sie dann je nach Anfälligkeit umplatziert oder entlassen. «Auch bei uns müssen beim Antrag für eine private Lebensversicherung schon heute allfällig vorhandene Gentestresultate vorgelegt werden», betont sie.

Genetiker Hansjakob Müller hingegen befürchtet in der Schweiz so rasch keinen Zwang zu Gentests. Im Gegenteil, er rügt die Krankenkassen, weil sie oft nur für eine Therapie bezahlen, wenn eine Krankheit ausgebrochen ist und aufwendig behandelt werden muss. «Bei Gentests für bestimmte Krebsveranlagungen wäre es sinnvoll, wenn die Kassen freizügiger wären», findet er. Für ihn ist die Gentest-Frage nicht so problematisch. «Erbkrankheiten nehmen wegen Gentests nicht zu; nur gibt es heute Labortests, um sie zuverlässig festzustellen und entsprechend zu handeln.»

Allerdings ist die beruhigende Regelung in der Schweiz («nur auf medizinische Indikation und nur durch Fachpersonen») längst durch das Internet aufgehoben: Mittlerweile können alle Interessierten für 99 US-Dollar plus Versandkosten einen Rundum-Test durchführen lassen. «The 23 and me» ist ein solcher Test, der ganz simpel funktioniert, indem Testwillige ein wenig Speichel in einem Testbehälter an das US-Labor schicken.

Sicherheit, aber keine Garantie

Dort werden gemäss Angaben der Firma «240 Gesundheits- und Wesensmerkmale sowie 40 Erb-Veranlagungen» abgeklärt. «Wir haben aber null Möglichkeiten zu überprüfen, wie gut die Qualität solcher Tests ist und wie zuverlässig die Resultate sind», warnt Ethikerin Baumann. Auch Genetiker Müller rät, Gentests «sehr zurückhaltend» und nur bei medizinischer Begründung einzusetzen.

Immerhin: Beim Brustkrebstest zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass er zuverlässig funktioniert und eine Operation von Brüsten und Eierstöcken – weit wichtiger, aber oft weniger emotional belastet – wahrscheinlich Leben rettet. Trotzdem kann kein noch so spezialisierter Arzt garantieren, dass Angelina Jolie nicht eines Tages vorzeitig an einer Lungenentzündung stirbt oder von einem Auto überfahren wird. «Es ist ein Irrglaube, zu meinen, dank Gentests sei das Leben komplett planbar», sagt Ruth Baumann-Hölzle. Das schafft wohl nicht einmal Superfrau Jolie.

Ratgeber: «Familiärer Brustkrebs. Diagnose, Beratung, Therapie und Langzeitbetreuung», R. Baumann-Hölzle, N. Bürki,
D. Hürlimann, Hj. Müller. Schulthess Verlag