Obwohl Saudi-Arabien die Menschenrechte missachtet, zieht es westliche Top-Forschende dorthin. Dank Petro-Dollars können sie in einer Art Enklave forschen – aber nun wollen viele weg.
Der Fall entsetzt und empört Menschen rund um den Globus: Anfang des Monats war der Journalist Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ermordet worden. Die saudische Führung hatte den Vorfall erst abgestritten, dann aber zugegeben (siehe Box weiter unten). Nun drohen Deutschland und auch die Schweiz mit einem Export-Stopp für Waffen, die USA prüfen Sanktionen. Und die Tennisgrössen Nadal und Djokovic werden für ihre Teilnahme an einem Schauturnier im Wüstenstaat kritisiert. Doch nicht nur Wirtschaft und Sport profitieren von der Zusammenarbeit mit dem Land, sondern auch die Wissenschaft.
Denn in Saudi-Arabien steht – durch eine hohe Betonmauer vom Rest des Landes abgetrennt – ein Paradies für Forschende: die King Abdullah University of Science and Technology, kurz Kaust. Innerhalb von zwei Jahren liess der inzwischen verstorbene König Abdullah am Roten Meer in der Nähe der Stadt Jeddah eine Universität errichten, die mit allem ausgestattet ist, was das Forscherherz begehrt: modernste technische Geräte und ein Geldtopf von 20 Milliarden Dollar. Dank dessen Zinsen sind die Kaust-Forschenden stets mit grosszügigen Forschungsbudgets versorgt, ohne dass sie sich mit dem Stellen von Anträgen herumschlagen müssen. Damit hat es die Kaust geschafft, Spitzen-Forscher aus der ganzen Welt anzulocken.
Erst wollte Saudi-Arabien vom Tod des Journalisten Jamal Khashoggi nichts wissen. Dann hiess es, er sei bei einer Schlägerei ums Leben gekommen. Jetzt vollzieht Riad in der Affäre erneut eine Kehrtwende. Die Verdächtigen in der Khashoggi-Affäre haben die Tötung des saudischen Journalisten nach Einschätzung der Behörden in Riad vorab geplant. Die türkischen Ermittler hätten entsprechende Informationen übergeben, teilte die Generalstaatsanwaltschaft des Königreichs am Donnerstag mit. (sda)
Damit sich die vielen westlichen Forscherinnen und Forscher wohlfühlen, ist der Universität ein eigener, riesiger Campus angeschlossen. «Man kann sich den Campus vorstellen wie eine autarke, schöne amerikanische Kleinstadt», erzählt der Biologe Luca Schmid (Name geändert). Seine Nationalität und seinen richtigen Namen möchte er nicht öffentlich machen, aus Angst, mit seinen Äusserungen seinen ehemaligen Kollegen zu schaden. Bis vor kurzem hat Schmid fast vier Jahre an der Kaust geforscht. Als Wissenschafter mit Familie wohne man in einem kleinen Reihenhaus mit Garten, profitiere von Kindergarten, Schule, Krankenversicherung, Fitnesscenter, Swimmingpools, Nahverkehr – alles kostenlos. Ein direkter Zugang zum Strand am Roten Meer setzt dem Ganzen die Krone auf.
Und auf dem Campus gelten weit weniger strikte Regeln als für den Rest der Bevölkerung, die auf der anderen Seite der dicken Mauer lebt, welche die Forschungs-Enklave umgibt. Im Land herrscht eine strikte Geschlechtertrennung – in der Kaust dagegen lernen und forschen Männer und Frauen Seite an Seite. Hier müssen Frauen ihren Körper nicht mit der Abaya bedecken, dem traditionellen knöchellangen Gewand, und brauchen auch kein Kopftuch zu tragen. Und hier durften sie Auto fahren, lange bevor es ihnen überall im Land möglich war.
«Die Gründung der Universität war auch ein politisches Zeichen an die islamistischen Hardliner in Saudi-Arabien», sagt Elham Manea, Politikwissenschafterin an der Universität Zürich. Der König habe damals eine ganze Reihe von Massnahmen erlassen, um das Land zu modernisieren und vorsichtig zu öffnen. So hat er unter anderem Frauen erlaubt, auf kommunaler Ebene zu wählen. Durch diese Öffnung wolle das Saudi-Regime schliesslich erreichen, seine Wirtschaft zu einer Wissensökonomie zu wandeln, sagt Nahost-Spezialistin Manea, und so das Land vom Öl unabhängig zu machen.
Doch selbst wenn die Kaust ein fortschrittliches Ideal verfolgt: Inwieweit unterstützen die westlichen Forschenden der Wüsten-Uni mit ihrer Arbeit das Saudi-Regime, das die Menschenrechte missachtet? Werden die Forschenden zu Komplizen der absoluten Monarchie, in der es keine unabhängige Presse, keine Meinungs- und Religionsfreiheit gibt? In der Dissidenten eingesperrt, ausgepeitscht und sogar ermordet werden? Zu diesen Fragen hört und liest man immer wieder Rechtfertigungen von Kaust-Forschenden: Mit der Spitzenforschung trage man zum Wissensschatz der Menschheit bei und es bringe nichts, das Land von aussen zu kritisieren. Die eigene Arbeit helfe dabei, dass junge saudische Studierende sich ein breites Wissen aneignen könnten und mit freiheitlichen Werten und alternativen Lebensweisen in Kontakt kämen.
Dazu hat Luca Schmid gemischte Gefühle. Er erzählt, dass ihm die Entscheidung, eine Stelle an der Kaust anzunehmen, nicht leichtgefallen sei. «Es ist ein dunkler Fleck auf meinem Gewissen», sagt Schmid. Für ihn war entscheidend, dass er dort bei einem bestimmten, hoch angesehenen Professor forschen konnte. Er habe aber auf dem Campus viel Austausch mit Saudis gehabt und mit diesen viel über die Gleichberechtigung der Geschlechter, über freiheitliche Werte und andere Lebensweisen gesprochen.
Trotzdem sind nicht alle überzeugt, dass diese Argumente ausreichen, um das Forschen an der Kaust zu rechtfertigen. So sagt Adriano Aguzzi, Institutsdirektor am Universitätsspital Zürich: «Ich habe Verständnis für das Argument, dass Aussenkontakte und Bildung der beste, vielleicht sogar der einzige Weg aus der Misere für die dortige Bevölkerung ist. Trotzdem würde ich selber definitiv nicht dorthin gehen.» Er habe von Forschenden gehört, die durch die aktuellen Vorkommnisse schockiert und beängstigt seien und nun schnellstens einen Job im Westen suchten. «Einen solchen Bruch würde ich mir und meiner Familie niemals antun, egal wie viele Millionen ich verdienen würde.»
Ob es der Kaust nach der Tötung Khashoggis weiterhin gelingen wird, Spitzenforschende anzuziehen, ist zu bezweifeln. Die Kaust hat zu den aktuellen Ereignissen auf Anfrage keine Stellung bezogen. Und einige Forschende werden sich nun fragen müssen, was sie für die Wissenschaft zu akzeptieren bereit sind.