Rohstoffhunger
Goldgräberstimmung in Schelfgebieten: Ist das gut oder schlecht für die Meere?

Am Meeresboden in Küstennähe schlummern viele wertvolle Mineralien, was Begehrlichkeiten weckt. Doch die Behauptung, dass der Erzabbau dort ökologisch weniger zerstörerisch sei als anderswo, entbehre jeglicher Grundlage, kritisieren nun zwei Wissenschafterinnen.

Stephanie Schnydrig
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In Küstennähe schlummern viele wertvolle Rohstoffe, die sich zum Abbau eignen würden.

In Küstennähe schlummern viele wertvolle Rohstoffe, die sich zum Abbau eignen würden.

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Die Menschheit ist abhängig wie nie zuvor von seltenen Mineralien und Metallen. Indium, Platin, Zinn oder Kobalt: Sie stecken in unseren Handys, in Flachbildschirmen und Solarzellen. Während die Vorkommen an Land zu Neige gehen, schlummern im Meeresboden noch riesige Schätze.

Im offenen Meer, in Tiefen bis zu 5000 Meter, ist die Ausbeutung jedoch teuer und aus Sorge vor den ökologischen Auswirkungen regt sich gegen den kommerziellen Abbau beträchtlicher Widerstand. Denn noch können wir kaum abschätzen, was wir mit Bergbau in der Tiefsee alles zerstören würden. Tatsächlich weiss die Forschung mehr über die Mondoberfläche als über den Meeresboden.

Deshalb richtet sich der Blick laut den finnischen Forscherinnen Laura Kaikkonen und Elina Virtanen von der Universität Helsinki vermehrt auf Bodenschätze in Schelfgebieten in Tiefen von höchstens 200 Metern. Sie kritisieren aber, dass der dortige Abbau zu Unrecht als eine weniger zerstörerische und risikoärmere Alternative gepriesen würde. Diese Behauptung werde nicht durch glaubwürdige Untersuchungen gestützt, «sondern durch Hoffnungen und Annahmen, die eine bergbaubefürwortende Sichtweise unterstützen».

Weil der Flachwasserbergbau und dessen ökologischen und sozioökonomischen Risiken noch nicht detailliert untersucht worden seien, brauche es vorübergehend ein Moratorium, schreiben die Meeresökologinnen in der Fachzeitschrift «Trends in Ecology & Evolution». Sie heben einige Risiken hervor, die es beim Ausbaggern des Meeresbodens in Küstennähe zu beachten gebe. Dazu zählen die Zerstörung von Lebensräumen, die Verschlechterung der Wasserqualität, die Freisetzung von Schadstoffen und Konflikte mit anderen Wirtschaftszweigen wie der Fischerei oder dem Tourismus.

Rohstoffgeologe vermisst konstruktive Alternativvorschläge

Sven Petersen, Rohstoffgeologe am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, findet es richtig und wichtig, dass seine finnischen Kolleginnen die Umweltauswirkungen des Flachwasserbergbaus kritisch thematisieren. «Aber mir fehlen die konstruktiven Alternativvorschläge: Wenn man gegen Bergbau in der Tiefsee und in Schelfgebieten ist, aber gleichzeitig die Elektrifizierung vorantreiben will – woher sollen die Rohstoffe dann kommen?» Zumal die Eingriffe in die Natur beim Bergbau an Land immer einschneidender würden und dafür unter anderem auch Tropenwald abgeholzt werde.

Zudem betont Petersen, dass Bergbau am Meeresboden in der Tiefsee und in Küstennähe nicht in direkter Konkurrenz zueinander stünden, wie die Autorinnen suggerierten. «Meines Wissens ist das tiefe Meer interessant für Metalle wie Kobalt, Nickel und seltene Erden. In Küstennähe hingegen finden sich vor allem etwa Diamanten, Gold oder Zinn.»

Kumulative Auswirkungen berücksichtigen

Iris Menn, Geschäftsleiterin bei Greenpeace Schweiz, warnt denn auch davor, Bergbau in der Tiefsee und in Küstennähe gegeneinander auszuspielen. «Egal, wo er betrieben wird, greift Bergbau in das Ökosystem Meer ein», sagt sie. Und zudem müssten die kumulativen Auswirkungen verschiedenster menschlicher Einflüsse berücksichtigt werden: «Der Bergbau wird die bereits vorhandenen Probleme aufgrund von Überfischung, Überdüngung und Plastikmüll zuspitzen.»

Sie bemängelt, dass in der Debatte um neue Rohstoffvorkommen ein wichtiger Punkt vergessen gehe: Natürlich brauche es Rohstoffe, um die Energiewende voranzutreiben. «Doch das darf nicht auf Kosten von gesunden Meeren und somit auf Kosten der Biodiversität gehen.» Sie plädiert für mehr Suffizienz: ein Leben, das weniger Material und Energie verschlingt.

1700 bekannte Lagerstätten in Küstennähe

Die Ausbeutung von Bodenschätzen in Küstennähe ist keine neue Idee. Beispielsweise wird vor der Küste Namibias seit 20 Jahren nach Diamanten geschürft. In Indonesien werden grosse Mengen Zinn auf dem Meeresboden abgebaut. Und weltweit schlummert noch ein grosser Reichtum an Bodenschätzen in Schelfgebieten: 1700 bekannte Lagerstätten listete der Rohstoffgeologe Petersen mit Kollegen in einem Beitrag in «Nature Geoscience» einmal auf. Darunter fänden sich einige der am reichsten ausgestatteten Metallgürtel der Erde.

Anders als die finnischen Wissenschafterinnen spricht das Team um Pedersen aber nicht von Bodenschätzen, die vom Meeresboden abgekratzt werden und so das Ökosystem grossflächig zerstören würden. «Wir argumentieren vielmehr für einen Rohstoffabbau, der dem Untertagebau an Land ähnelt», sagt er. Sein Vorschlag ist, beispielsweise einen Tunnel in den Meeresboden zu bohren, um dort die Rohstoffe zu schürfen. «Dann würde man oberflächlich nur den Stolleneingang haben, der Rest des Meeresbodens bliebe ungestört», so der Forscher. Aus seiner Sicht würde diese Art von Bergbau schonender sein als an Land oder in der Tiefsee.

Internationales Recht greift in Küstennähe nicht

Rohstoffabbau in Küstennähe birgt gegenüber dem Tiefseebergbau auch rechtlich potenziell weniger Hürden, denn die Diskussion um territoriale Ansprüche und Besitzverhältnisse fällt weg. Das Gebiet bis zu 200 Seemeilen Entfernung von der Küste (etwa 370 Kilometer) zählen zum Staatsgebiet des jeweiligen Landes. So untersteht diese Gewässerzone nicht internationalem Recht, sondern es herrscht die nationale Gerichtsbarkeit. Wenn also die Vereinten Nationen ein Moratorium für den Tiefseebergbau erlassen würden, wie dies Naturschutzorganisationen, einige Staaten und auch Unternehmen derzeit fordern, bliebe Bergbau in Küstennähe möglich.

Petersen geht allerdings davon aus, dass die meisten Länder strikte Umweltschutzauflagen für den dortigen Rohstoffabbau erlassen werden, ähnlich, wie sie bereits in vielen europäischen Ländern für den Sand- und Kiesabbau an Küsten existierten. «Auch viele Inseln im Pazifik tendieren zu restriktiven Vorschriften, weil die lokalen Gemeinschaften seit jeher einen bewussten Umgang mit dem Meer pflegen», so der Kieler Forscher.