«Trail Running»: Rennen ist das neue Wandern

Trail Running erobert unsere Alpen. Wer rennt, kommt nicht nur schneller vorwärts, sondern geniesst oft auch spektakuläre Ausblicke abseits bevölkerter Wege. Ein Selbstversuch.

Silvia Schaub
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Mit leichten Sportschuhen und nur wenig Gepäck unterwegs über der Gletscherschlucht von Grindelwald: Trail Running wird in der Schweizer Bergwelt immer beliebter. (Bild: Getty Images)

Mit leichten Sportschuhen und nur wenig Gepäck unterwegs über der Gletscherschlucht von Grindelwald: Trail Running wird in der Schweizer Bergwelt immer beliebter. (Bild: Getty Images)

«Du musst dazwischen auch mal die Komfortzone verlassen», spornt mich Anne-Marie Flammersfeld an und erhöht das Tempo. Der Weg von St. Moritz Bad Richtung Stazersee geht zwar nur leicht bergan. Während Flammersfeld wie ein junges Reh davonspringt, komme ich ziemlich ins Schwitzen. Ist es der Höhenunterschied, der mir zu schaffen macht? Oder doch das mangelnde Training? Aber schliesslich bin ich gerade mit einer der erfolgreichsten Extremläuferinnen der Welt unterwegs. «Trail Running muss Spass machen», ruft sie mir lachend zu. Im nächsten Moment verfällt Flammersfeld wieder in ein lockeres Walking-Tempo. «Trail Running heisst nicht, dass man immer rennt», erklärt sie, was mich beruhigt.

Also passen wir uns dem Gelände an und laufen dazwischen auch etwas langsamer, um Energie zu sparen – und damit ich Luft holen kann.

«Es ist auch kein Tabu, mal einen Moment innezuhalten, um das Panorama zu geniessen.»

Und dieses präsentiert sich gerade besonders herrlich: Wir sind beim Stazersee angekommen, in dessen stahlblauer Wasseroberfläche sich die noch schneebedeckten Berge der Umgebung spiegeln.

In den Bergen dem Stress und Alltag davonlaufen

Trail Running erobert aktuell die Bergwelt und bedeutet: Rennen, wo andere gemütlich wandern. Inzwischen ist Trail Running keine kleine Nische mehr innerhalb des Laufsports. Immer öfter trifft man unterwegs auf Trailer, die mit kleinen Rucksäcken und Turnschuhen über Stock und Stein, über Hügel, Berge und Kreten rennen. Es ist klar, dass sich die Schuhhersteller auch an diesem Trend erfreuen, die sich damit einen neuen Markt schaffen. Laut Pascale Graffmann, Marketing Managerin bei Columbia Sportswear Company, sei diese Kundengruppe inzwischen sehr wichtig für das Unternehmen und lege rasant zu.

Tatsache ist, dass es immer mehr Menschen in die Bergwelt lockt. Für sie ist die Natur ein Sehnsuchtsort. Dies bestätigt eine kürzlich veröffentlichte Studie von Schweiz Tourismus. Sie verdeutlicht, wie stark sich die Schweizerinnen und Schweizer gestresst fühlen und die Natur als Ort der Regenerierung aufsuchen – mehr noch als das eigene Zuhause. «Auch Trail Running hat eine stressreduzierende, therapeutische Wirkung auf uns Menschen», sagt Martin Nydegger, Direktor von Schweiz Tourismus. Er ist überzeugt, dass dieser Trend eine Chance für die Destinationen ist. «Trail Running benötigt weniger Infrastruktur im Vergleich zu Mountainbike oder Skifahren. Ein flächendeckendes Wanderwegnetz ist in der Schweiz bereits vorhanden.» Destinationen wie das Engadin, Davos, Viamala oder die Jungfrau-Region setzen schon stark darauf. Ein Indikator dafür ist die steigende Anzahl an Events im ganzen Land.

Erstmals hat auch die Reisemarke Travelhouse Sports das Thema im Sommerprogramm und bietet TrailRunning-Reisen in der Schweiz an. «Die jüngere Generation möchte die Bergwelt aktiver erleben und wünscht eine gewisse Herausforderung», erklärt Kenny Prevost von Travelhouse. Die Teilnehmenden – vom Einsteiger bis zum Routinier – werden in Klein-Gruppen mit OL-Weltmeisterin Judith Wyder und Bergläufer und Gigathlet Gabriel Lombriser unterwegs sein.

«Die Nachhaltigkeit spielt in dieses Thema hinein, weil man kurze Reisewege hat und nur mit seinem Körper unterwegs ist.»
Anne-Marie Flammersfeld, Trailrunnerin und Sportwissenschafterin. (Bild: Christoph Gramann)

Anne-Marie Flammersfeld, Trailrunnerin und Sportwissenschafterin. (Bild: Christoph Gramann)

Der Profi weiss, wie der innere Schweinehund zu bändigen ist

«Wer rennt, wo andere wandern, kommt schneller voran und geniesst mithin spektakulärere Ausblicke», findet Sportwissenschafterin Anne-Marie Flammersfeld. Das kann ich nur bestätigen, auch wenn ich diese Ausblicke gerade weniger geniessen kann als meine Begleiterin, denn allmählich geht mir die Puste aus. Für Anne-Marie hingegen ist das Training mit mir ein Klacks. Sie hat schon ganz andere Strecken bewältigt, zum Beispiel 1000 Kilometer in vier verschiedenen Wüsten bei extremsten Witterungsbedingungen und das «4 Deserts Race» auch noch als erste Frau der Welt gewonnen.

Das ist ein paar Jahre her. Inzwischen hat sie andere Projekte, etwa auf jedem Kontinent die höchsten Vulkane zu bezwingen. Dazwischen arbeitet sie als Personal Trainer, Coach und Referentin in St. Moritz. Zudem bietet sie Vorbereitungstrainings auf den Sommerlauf Engadin an, dessen Präsidentin sie ist.

«Laufen ist eine sehr komplexe Angelegenheit», sagt die Sportlerin. Zur Veranschaulichung lässt sie mich an einem Steilhang auf verschiedene Weise den Fuss abrollen: Zuerst muss ich mit den Fersen auftreten, dann mit dem Vorderfuss. Was für ein Unterschied! «Merkst du, wie es viel einfacher geht mit dem Vorderfuss? Zudem kannst du dadurch die Federkraft deiner Wadenmuskulatur nutzen und hast mehr Sicherheit beim Auftreten.»

Mit kurzen, kleinen Schritten packen wir die nächste Steigung an. Wie viel angenehmer ist es doch, mit leichten Sport- statt mit Wanderschuhen über die Waldwege und Steilhänge zu laufen. Dank den Gummi-Stollen an der Sohle finde ich auch in steilen Passagen guten Halt. Dass dabei Kreislauf, Muskulatur und Konzentration sehr viel stärker gefordert werden als beim Wandern oder Joggen auf der Strasse, merke ich schnell. Das brauche etwas Zeit – und Übung, erklärt Flammersfeld. Durch die verschiedenen Bodenverhältnisse lerne der Körper neue Abläufe.

Sie rät anfangs zu kurzen Trainingseinheiten von einer halben Stunde, drei bis vier Mal wöchentlich.

«Das Schöne am Trail Running ist, dass man nicht zwingend auf hohe Berge muss, es reicht auch der Wald um die Ecke.»

Das nehme ich mir – wieder zu Hause – zu Herzen und suche die Hasenpfade abseits der asphaltierten Strassen. Denn schliesslich heisst Trail wörtlich übersetzt Pfad oder Spur.

Ich habe mir weder den «Alpine» noch den «Jungfrau Marathon» zum Ziel gesetzt, aber meine persönliche Performance hoffe ich, dank den Tipps von Anne-Marie Flammersfeld, doch etwas optimieren zu können. Und wenn mal wieder der innere Schweinehund fragt, was das Ganze soll, dann erinnere ich mich an Anne-Maries Ratschlag: «Ach, am besten gibst du ihm Raum und beginnst ein Gespräch mit ihm, fragst, was ihn davon abhält, rauszugehen. Die Zeit, die man mit Laufen verbringt, holt man locker wieder herein, weil man danach viel effizienter und voller Tatendrang ist.» Das stimmt definitiv.

Drei Routen im Überblick

Alpstein – Achterbahnlaufen

Strecke Wasserauen – Seealpsee – Mesmer – Meglisalp – Wasserauen
Distanz 20 Kilometer
Aufstieg 1622 Meter
Schwierigkeit einfach

Der Trail führt quer durch den Alpstein mit Hütten und Gasthäusern an den unwahrscheinlichsten Orten. Ab Wasserauen nimmt man die Strecke bis zum Restaurant Forelle am Seealpsee. Dort schwenkt man links ab, umläuft den See und steigt 400 Meter steil hinauf bis zur Altenalp. Dann beginnt eine Art Achterbahnfahrt durch den Alpstein: Mal geht es hinauf, dann wieder hinunter. Man läuft bald schon an einem schmalen Gebirgspass vorbei steil hinunter zum Berggasthaus Mesmer. Anschliessend führt der Trail durch die enge Schlucht der Fehlalp. Ein mit Seilen ausgestatteter Spitzkehrenweg bringt einen zur Wagenlücke auf 2074 Meter hinauf. Es folgt ein schneller Abstieg, bis man die Meglisalp erreicht, dieses liebliche Sennendorf samt Kirche und Berggasthaus. Auf dem Schrennen-Weg lockt nochmals die Rundsicht in den Alpstein und auf den Seealpsee, bevor dann der happige Abstieg von 700 Höhenmetern ins Tal beginnt.

Piz Languard – Pontresinas Steinbockparadies

Strecke Pontresina – Paradieshütte – Piz Languard – Chamanna Segantini – Unterer Schafberg – Pontresina
Distanz 22 Kilometer
Aufstieg 1620 Meter
Schwierigkeit mittel

Diese Tour startet bei der Liftstation Pontresina Richtung Alp Languard und führt direkt zur Paradieshütte – anfangs über Weiden und Wiesen, durch Wald und dann über den Kamm. Man läuft weiter ins Val Languard zum Lej Languard. Sanfte Höhenlinien und nicht allzu schwierige Trails führen unter den Gipfel, bevor es steil hinauf zur Georgys Hütte geht. Kurz, aber steil geht es weiter zum Piz Languard, mit 3262 Metern der Höhepunkt dieser Tour und einem weiten Ausblick in alle Richtungen. Zurück an der Kreuzung unterhalb der Hütte verläuft die Route am Hang entlang mit leichten Auf- und Abstiegen und am Schluss mit Anstieg zur Segantini-Hütte. Der Abstieg via Unterer Schafberg geht ziemlich in die Knie und führt zurück zum Ausgangspunkt in Pontresina. Gut möglich, dass man auf diesem Weg Steinböcke erblickt.

Schynige Platte Grindelwald – über allem im Berner Oberland

Strecke Wilderswil – Schynige Platte – Faulhorn – Grindelwald
Distanz 38 Kilometer
Aufstieg 2340 Meter
Schwierigkeit mittel

Ab Bahnhof Wilderswil folgt man der Beschilderung zur Schynige Platte. Schon bald geniesst man einen grossartigen Blick auf den Thuner- und Brienzersee. Man folgt den Schildern nach Oberberghorn, dann Faulhorn und First. Um den Ussri Sägissa herum wird das Terrain anspruchsvoller und auf dem Weg zum Berghaus Männdlenen steiniger. Dann klettert man in Richtung Faulhorn. Eine Schotterstrasse sorgt für etwas schnelleres Laufen neben dem Bachsee. Bevor man in First ankommt, biegt man rechts ab und läuft entlang dem Klippenweg. Von First aus folgt man den Feldwegen nach der Grossen Scheidegg und geniesst den Weitblick auf die Kleine Scheidegg, Meiringen und das sich auftürmende Wetterhorn. Vom Pass führt ein schmaler Single Trail durch Weiden. Dann wird das Laufen technischer und steiler, bis man Grindelwald erreicht.