Jeden Tag muss ich mich im Bahnhof durch Massen von Menschen «kämpfen». Nicht selten rege ich mich über das Verhalten anderer auf. Aber vielleicht mache ich ja auch nicht alles richtig und werde ebenfalls unbeabsichtigt zum Hindernis für andere. Haben Sie Tipps, wie sich diese Situation angenehmer gestalten liesse?
Obwohl wir in der Schweiz keine Megacitys haben, ist es eng geworden auf unseren Bahnhöfen. Das Mobilitätsbedürfnis der Bevölkerung nimmt stetig zu. Laufend berichten die SBB von steigenden Passagierzahlen. Hunderttausende schwirren täglich auf den Bahnhöfen herum, und so entsteht vor allem zur Rushhour heftiger Dichtestress.
In dieser Situation sollten die Grundpfeiler des guten Benehmens keinesfalls vergessen gehen. Respekt- und rücksichtsvoller Umgang ist jetzt elementar. Nur so kann ein einigermassen gutes und gefahrenfreies Durchkommen stattfinden.
Den Perron als Treffpunkt zu vereinbaren, ist für die Gruppenmitglieder praktisch, für andere ÖV-Benutzer aber weniger. Gruppen, die den Bahnsteig belagern, oft gar blockieren, verursachen unnötige Menschenstaus. Das Gleiche gilt für Reisegruppen, die sich mit ihrem Kofferpark beim Ein-, Aus- oder Umsteigen unmittelbar vor dem Zug aufbauen, um zu diskutieren, wohin es nun gehen soll. Fahrgäste mit Gepäck sollten sich etwas vom Zug entfernt aufhalten, Gruppen sollten sich des Platzes bewusst sein, den sie einnehmen, und sich rücksichtsvoll aufstellen, damit sie nicht zum Hindernis werden.
Auch wenn es unerhört wichtig erscheint, immer und überall erreichbar zu sein – das Handy gehört im Dichtestress in die Tasche und nicht vor die Nase. Von elektronischen Geräten abgelenkt durch Menschenmassen zu stolpern, ist nicht nur rücksichtslos, sondern auch für andere und sich selber gefährlich.
Aktives Anstehen, also Vordrängeln, ist absolut tabu. Es ist inakzeptabel, Ellenbogen einzusetzen, um schneller voran- zukommen oder sich im Zug einen Sitzplatz zu ergattern. Sich in Geduld üben, das beweist Stil.
Zu echten Hindernissen werden Einsteigende, die gleich beim Eingang stehen bleiben, obwohl weitere Passagiere zusteigen möchten. Bei starker Frequentierung muss nach- und zusammengerückt werden, ob man will oder nicht.
Ganz selbstverständlich wird im vollen Zug das Gepäck ungefragt vom Nebensitz entfernt; die Tasche soll auf dem Boden, auf der Gepäckablage oder auf den Beinen mitfahren. Das Verdrehen der Augen, wenn sich jemand nach der Verfügbarkeit des freien Nebensitzes erkundigt, ist absolut deplatziert. Verständlicherweise könnte dies beim Gegenüber das Freisetzen von Dichtestress-Adrenalin bewirken und zu gehässigen Reaktionen verleiten. Genervte und aufeinander losgehende Fahrgäste sind alltäglich geworden und stellen die Verkehrsbetriebe vor grosse Probleme.
Dann gibt es noch das korrekte Rolltreppenbefahren. Turtelnde Pärchen, die selbst hier den Anspruch erheben, nebeneinander stehen zu dürfen, Träumer oder Kofferbeladene gehören nicht auf die linke Überholspur. «Rechts stehen, links gehen» heisst hier klar die Devise. Ansonsten hat der Schnellumsteiger keine Chance, den Anschlusszug zu erwischen.
*Doris Pfyl ist Knigge-Trainerin, Farb- und Modestilberaterin, Ausbildnerin des Schweizer Fachverbands FSFM, www.imagemodestil.ch