Kolumne
Papa-Blog: Musik ist Rebellion, deshalb erreicht der Satz «Hör auf zu trommeln!» eben oft das Gegenteil

Jeder Gegenstand tönt, die Welt ist Rhythmus, wunderbar! Zumindest in der Theorie. In der Praxis macht es wenig Spass, wenn der Sohn schon vor dem Frühstück die Trommelschlegel schwingt.

Roger Berhalter
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Trommeln geht überall: Der Sechsjährige betrachtet unseren Haushalt als sein Schlagzeug-Set.

Trommeln geht überall: Der Sechsjährige betrachtet unseren Haushalt als sein Schlagzeug-Set.

D-Keine / E+

«Hör auf zu trommeln!» Ich hatte mir geschworen, diesen Satz nie zu sagen. Nie wollte ich meinem Sohn das Schlagzeugspielen verbieten, niemals! Vielmehr soll er seiner Kreativität freien Lauf lassen, er soll jenseits all jener Grenzen spielen, die ihm das Leben noch früh genug setzen wird. Soweit die Theorie.

In der Praxis habe ich aber trotzdem irgendwann gerufen: «Hör auf zu trommeln!» Weil es nun einmal schwer erträglich ist, wenn der Kleine schon vor dem Frühstück in der Küche auf die Pfannen haut.

Der Haushalt ist Schlagzeug

Ich bin ja selber Schuld. Schliesslich war ich es, der ihm gezeigt hat, dass jeder Gegenstand tönt und dass man kein Schlagzeug braucht, um einen Rhythmus zu erzeugen. Seither betrachtet der Sechsjährige unseren Haushalt als sein Schlagzeug-Set. Er haut aufs Sofa, er haut auf die Kommode, er haut auf Schachteln, Becher und Polsterstühle. Alles tolle Sounds, alle klingen anders, die Welt ist Rhythmus, wunderbar! Nur leider sind es meine Ohren, die sich das anhören müssen.

Wir machen Fortschritte. Wir haben jetzt abgemacht, dass während der Mahlzeiten nicht getrommelt wird. Es gibt aber auch Rückschritte. Einmal hat er nach einer Ermahnung von mir laut «Zugabe! Zugabe!» gerufen und ist trommelnd davongerannt.

Auch Pipilotti Rist hat's schliesslich geschafft

Ich muss oft an Pipilotti Rist denken. Die Künstlerin hat in einem Interview einmal gesagt, dass sie als Kind im Pyjama in die Schule durfte. Die Mutter habe nichts dagegen gehabt. Merke: Wer seiner Tochter keine Grenzen setzt, lässt ihr den Freiraum, um eine der erfolgreichsten Künstlerinnen der Welt zu werden. Und wenn ich meinem Sohn stets erlaube zu trommeln, dann spielt er in zehn Jahren besser als Jojo Mayer und Gene Krupa!

Auch das bleibt wohl Theorie. Vielleicht stimmt sogar das Gegenteil. Vielleicht wird Musik besser, wenn sie gegen Widerstände erklingt. So entstand ja auch die Rock- und Popkultur: Sie wurde nicht gross, weil alle sie mochten, sondern weil sie gegen ein verkrustetes Bürgertum rebellierte. «Hört auf zu trommeln!», riefen die empörten Bürger – worauf die Rockmusiker einfach noch lauter spielten.

Das Bürgertum bin ich

In dieser Logik verkörpere ich nun bei uns zu Hause das verkrustete Bürgertum. An mir kann mein Sohn sich reiben, gegen mich spielt er mit seinen Trommelschlegeln an. Ermahne ich ihn, ermutigt ihn das nur noch mehr: «Zugabe! Zugabe!»

Zum Glück sind die Sommerferien bald vorbei und mein Sohn kann sich endlich im Instrumentalunterricht austoben. Nein, nicht in der Schlagzeugstunde, er lernt Kontrabass. Das ist bedeutend leiser.

Der Autor

Roger Berhalter lebt mit seiner Frau und den zwei Söhnen (6 und 8 Jahre) in der Stadt St.Gallen. Er teilt sich mit seiner Partnerin die Erwerbs- und Hausarbeit. Am Backofen aber ist er der Chef.

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