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Leben
Die Welt wäre friedlicher, wenn alle Armeen so kommandiert würden wie die meines Sohnes. Er findet Krieg langweilig. Viel wichtiger als der Kampf ist ihm die Spannung davor. Eine Veranschaulichung mit Lego.
«Belagerung!» So lautet derzeit die richtige Antwort auf fast alle Fragen, die mein Sohn sich stellt. Ja, der Kleine plant eine grosse Belagerung, und er rüstet sich fast täglich dafür. Mit Legomännli, die er auf dem Teppich zu Armeen formiert. In Reih und Glied stehen die Krieger, Autos und Raumschiffe da, bereit zum Kampf.
Der Siebenjährige liebt es, mit mir zusammen die Produktekataloge von Lego durchzublättern. Er interessiert sich dabei nicht für den eigentlichen Verwendungszweck der einzelnen Sets, vielmehr klopft er die Figuren und Fahrzeuge auf ihre Kampftauglichkeit ab. «Weisst du, warum ich mir das wünsche?», fragt er dann. Und ich antworte korrekt: «Belagerung!»
Ich hätte nie gedacht, was sich alles für eine Belagerung eignet. Mein Sohn wünscht sich beispielsweise ein Wohnmobil – weil man darin super Waffen verstecken kann. Er wünscht sich auch einen Taucher mit Sauerstoffflasche – als Spion, falls sich die gegnerische Festung auf einer Insel im Meer befinden sollte. Wer einen Hammer in der Hand hält, betrachtet jedes Problem als Nagel. Und wer eine Belagerung plant, sieht noch in den zivilsten Dingen militärisches Potenzial.
Ich muss immer schmunzeln, wenn ich die Armee meines Sohnes betrachte. Auf Bedienungsanleitungen pfeifend, wirbelt er die Markenwelten des Lego-Universums durcheinander und erschafft sie neu. Dann hat Iron Man plötzlich zwei Ninja-Schwerter in der Hand, der Tie-Fighter-Pilot trägt einen Batman-Umhang, der Piratenkapitän steuert ein Raumschiff, und Meister Yoda schiesst mit dem Maschinengewehr.
Wobei: Geschossen wird in dieser Welt nie. Der Kampf existiert nur als Idee, die mein Sohn nie verwirklicht. Der Kleine bleibt Kalter Krieger und verbringt ganze Nachmittage damit, seine Armee zu erweitern. Er platziert Spione, studiert die Schwachpunkte der gegnerischen Festung, schmiedet Angriffspläne. Das absorbiert ihn derart, dass an den eigentlichen Kampf nicht mehr zu denken ist. Es geht nicht um Sieg oder Niederlage, nur um die Spannung davor.
Ich wünschte mir, alle Armeen dieser Welt würden so funktionieren: Keine Kämpfe mehr, nirgends, allerhöchstens noch Aufrüsten im Waffenstillstand, aber weder Schüsse noch Tote. Die Militärkader würden in ihren Kommandoräumen bleiben und sich selber beschäftigen, ohne Schaden anzurichten. Schiessen dürften sie nicht mehr. Nur ab und zu ein neues Lego-Spielzeug, das könnten sie haben.
Roger Berhalter lebt mit seiner Frau und den zwei Söhnen (5 und 7 Jahre) in der Stadt St.Gallen. Er teilt sich mit seiner Partnerin die Erwerbs- und Hausarbeit. Am Backofen aber ist er der Chef.