Eltern müssen lernen, ihre Kinder loszulassen. Aber manchmal ziehen die Kleinen auch einfach davon. Zum Beispiel mit merkwürdigen Comics.
Kinder erziehen heisst Kinder loslassen. Immer wieder, immer mehr, bis sie schliesslich aus dem Haus sind und man sie ganz ziehen lässt. Ich weiss noch genau, wie mein Sohn seinen ersten Weg alleine zurücklegte. Es war nur ein kurzes Stück, die er ohne Begleitung spazierte. Nur ein kurzer Fussweg, bis ihn seine Grossmutter in Empfang nahm. Und doch schien es mir, als hätte mein Sohn gerade eine grosse Reise getan.
Ich gebe zu: Ich beobachtete ihn heimlich auf diesen paar Metern. Unbekümmert und zielstrebig ging er seines Weges. Und sein Vater war so stolz wie nie zuvor.
Nicht immer können Eltern selber loslassen. Manchmal ziehen die Kleinen auch einfach davon, wortwörtlich oder im Geiste. Noch sind meine Söhne klein, noch weiss ich meist alles besser. Aber manchmal hängen sie mich doch schon ab. Dann bedeutet Loslassen nur noch, sich einzugestehen: Das kapiere ich jetzt nicht.
So wie neulich, als meine Söhne eine neue Comicserie schauten. Darin kamen vor: Ein sprechendes Buch, das in regelmässigen Abständen Monsterhorden schluckt. Ein Bösewicht, der aussieht wie Darth Vader, aber mit «Star Wars» nichts zu tun hat. Ein weissbärtiger Guru, der als verpixeltes Hologramm Ratschläge erteilt. Und fünf Ritter, die mit merkwürdigen Superkräften alles zum Leuchten bringen und Gegner verscheuchen.
Muss ich das noch verstehen? Oder darf mir das schon egal sein? Kann ich darüberstehen und doof finden, was meine Söhne feiern? Ich habe ihnen ein paar Fragen gestellt, wie ich das immer tue, wenn sie sich mit etwas Neuem beschäftigen. Schliesslich bin ich Journalist und von Berufes wegen neugierig: Wieso kann das Buch sprechen? Warum reicht den Rittern als Waffe nicht ihr Schwert? Warum ist der Guru verpixelt?
Ja, ich versuche jeweils zu verstehen. Doch in diesem Fall war es vergebens: Ich fand und finde die Serie doof. Nein, das muss ich nicht kapieren, das darf mir egal sein. Man muss auch mal loslassen können.
Roger Berhalter lebt mit seiner Frau und den zwei Söhnen (5 und 7 Jahre) in der Stadt St.Gallen. Er teilt sich mit seiner Partnerin die Erwerbs- und Hausarbeit. Am Backofen aber ist er der Chef.