Kolumne
Papa-Blog: Darf ein Kind den Namen der Eltern stehlen?

Es gibt Kinder, die sagen weder «Mama» noch «Papa», sondern nennen ihre Eltern beim Vornamen. Manche tun dies, weil sie es müssen. Andere freiwillig.

Roger Berhalter
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Kinder hören ständig die Vornamen ihrer Eltern – sind aber die einzigen, die diese Namen nicht verwenden.

Kinder hören ständig die Vornamen ihrer Eltern – sind aber die einzigen, die diese Namen nicht verwenden.

Bild: Getty, Montage: SGTB

Neulich habe ich eine Mutter und einen Vater kennengelernt, die weder Mama noch Papa heissen. Jedenfalls nicht für ihre Kinder. Diese rufen die Eltern beim Vornamen. Sie sagen «Peter»*, wenn sie Papa meinen, und sie rufen «Barbara!»*, wenn sie Mama suchen. Papi? Mami? Solche Bezeichnungen gibt es in dieser Familie nicht.

* Tatsächlich heissen sie anders. Mama und Papa der Redaktion bekannt.

Als ich das zum ersten Mal hörte, war ich irritiert. Ich dachte zunächst, da stecke ein ausgeklügeltes Erziehungsmodell dahinter. Als hätte das Paar entschieden: «Unsere Kinder sollen uns beim Namen nennen!» Oder war es eher Ausdruck einer familieninternen Identitätspolitik? Nach dem Motto: «Wir sind die, die weder Mama noch Papa sagen»?

Schliesslich gibt es das. Oder gab es zumindest früher, als die 68er-Generation neue Familienmodelle ausprobierte. «Mama und Papa hatte ich nicht, ich musste Renate und Eberhard sagen», schreibt der deutsche Autor Jess Jochimsen im gleichnamigen Buch. Seine Eltern bestanden darauf, dass er sie beim Vornamen ansprach. «In diesem Punkt folgten meine Eltern konsequent den pädagogischen Maximen der frühen 70er-Jahre. Der Eigenname durfte um keinen Preis aufgegeben werden.» Solche Eltern sagen sich: Mein Name gehört mir, selbst mein Kind darf ihn mir nicht nehmen.

Nur dann, wenn die Lage ernst ist

Doch nichts von alldem. «So war's nicht», beteuert jener Vater, der für seine Buben Peter heisst. «Wir haben das nicht von ihnen verlangt, sie haben selber damit angefangen.» Und dabei seien sie geblieben. «Schliesslich sagen auch alle anderen Peter und Barbara zu uns.» Stimmt. Es ist ja auch paradox: Kinder hören ständig die Vornamen ihrer Eltern – sind aber die einzigen, die diese Namen nicht verwenden.

Auch ich rief als Kind meine Mutter manchmal beim Vornamen. Aber nur dann, wenn die Lage ernst war und ich zuvor schon mehrfach vergeblich Mama gesucht hatte. Auf den Vornamen hörte sie meistens. Eine Weile funktionierte das ganz gut, es sollte aber kein Modell fürs Leben werden. Inzwischen heisst meine Mama wieder Mama.

Bei meinen eigenen Kindern geraten die Bezeichnungen oft durcheinander. Ich muss jedes Mal schmunzeln, wenn mein älterer Sohn mich mit meiner Frau verwechselt. «Mama? Äh, ich meine: Papa?», sagt er dann. Kein Zweifel: Vornamen wären klarer.

Der Autor

Roger Berhalter lebt mit seiner Frau und den zwei Söhnen (5 und 7 Jahre) in der Stadt St.Gallen. Er teilt sich mit seiner Partnerin die Erwerbs- und Hausarbeit. Am Backofen aber ist er der Chef.

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