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Was, wenn nicht eine psychische Erkrankung der Auslöser ist, sondern eine körperliche? Entzündungen können ein Grund für Depressionen sein. Dies gibt jenem Drittel aller Depressiven Hoffnung, bei denen Antidepressiva nicht anschlagen.
Eine Depression nicht aufgrund der Psyche, sondern wegen einer körperlichen Erkrankung? Diese aus England herübergetragene Meldung im Schweizer Radio liess vergangene Woche viele aufhorchen, die an Depressionen leiden. Vor allem jene Patienten, die nicht auf die Behandlung mit antidepressiven Medikamenten reagieren. «Ein Drittel der Patienten spricht gut an auf Therapien mit Antidepressiva, ein Drittel erreicht damit eine Verbesserung von bis zu 50 Prozent. Aber bei einem Drittel wirken sie nicht», sagt Dagmar Schmid, Leiterin der Klinik für Psychosomatik am Kantonsspital St. Gallen.
Hoffnung macht diesen Patienten eine aufsehenerregende Entdeckung des Psychiaters Golam Khandaker von der University of Cambridge. Demnach gibt es Depressionen, die nicht nur durch einen Mangel an Botenstoffen im Hirn, nicht durch eine psychische Erkrankung ausgelöst werden, sondern durch eine Immunreaktion, die zu Entzündungen führt. Bei Arthritispatienten hat der britische Forscher beobachtet, dass diese oft gleichzeitig depressiv sind. Wird das Rheuma in den Gelenken mit Medikamenten gelindert, verschwindet auch die Depression.
Festgestellt haben Forscher auch, dass umgekehrt die Hälfte der Hepatitis-C-Patienten, die mit dem körpereigenen Botenstoff Interferon behandelt werden, eine schwere Depression entwickeln. Interferon führt eine Entzündung herbei und aktiviert das Immunsystem. Dauert das länger, können Depressionen entstehen. Dieser Zusammenhang der «Kommunikation» von Immunsystem und Gehirn wird seit Langem untersucht. Kinder mit hohen Entzündungswerten im Blut entwickelten gemäss einer Studie im höheren Alter eher Depressionen.
Naheliegend, dass Khandaker nun dieses Jahr eine neue Studie gestartet hat, in der Patienten mit hohen Entzündungswerten und Depressionen mit einem Rheumamittel behandelt werden. Entwickelt worden ist für diesen Test ein neues Medikament mit monoklonalen Antikörpern, das in den Stoffwechsel eines Botenstoffs eingreift. Dieser Botenstoff Interleukin-6 steuert die Entzündungsreaktionen des Immunsystems und, wenn die Hypothese Khandakers stimmt, auch den Verlauf einer Depression.
«Tatsächlich sehen wir Depressionen gehäuft im Zusammenhang mit entzündlichen Erkrankungen wie zum Beispiel der multiplen Sklerose oder der rheumatischen Erkrankung. Das lässt natürlich schon hellhörig werden», sagt Dagmar Schmid. Der Zusammenhang von Depression und Entzündung war vergangene Woche auch in Berlin prominentes Thema an der grössten Konferenz im deutschsprachigen Raum für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), an der Dagmar Schmid teilgenommen hat.
«Es gibt schon lange Hinweise darauf, dass bei Untergruppen der Depression Entzündungen eine Rolle spielen. Aber es sind verschiedene Wege der Entstehung bekannt», sagt Schmid. An verschiedenen Instituten werden seit geraumer Zeit solche Zusammenhänge erforscht. Auch am Max-Planck-Institut in München, wo Schmid früher gearbeitet hat, ist bereits vor Jahren untersucht worden, wie Depressionen mit Entzündungen, Gewichtsregulierung und Adipositas zusammenhängen. Die Forscher gehen davon aus, dass die Entzündungen vom Fettgewebe selbst produziert werden, vor allem im Bauchfettgewebe. Auch der Darm spielt hierbei eine wichtige Rolle, hier werden Botenstoffe produziert, die bei der Depression relevant sind.
Kommt somit irgendwann die Wunderpille gegen Depressionen? «Was wir wissen ist, dass gewisse somatische Medikamente Depressionen auslösen können, zum Beispiel Blutdruckmittel», sagt Schmid. Umgekehrt geht auch. So untersucht man die antidepressive Wirkung von Statinen – Cholesterinsenker –, die eventuell eine Wirkung wegen antientzündlicher Prozesse haben.
Da die Entzündung schon über mehrere Ecken als relevant beobachtet worden ist, sei die Arbeit der britischen Forscher der nächste logische Schritt, sagt Schmid. «Aus der Sicht der Pharmaindustrie sowieso. Im Bereich Antidepressiva gab es in den letzten Jahren nicht wirklich neue Ansatzpunkte. Da ist es attraktiv, etwas Neues zu probieren.» Aber ob der Ansatzpunkt ein Medikament mit diesen monoklonalen Antikörpern sein müsse oder doch ein anderer sein könne, werde sich zeigen.
Gut sei aber auf jeden Fall, dass nun über körperliche Aspekte im Zusammenhang mit der Depression diskutiert werde, was zur Entstigmatisierung dieser Erkrankung beitragen könne. So wie es bei jedem depressiven Patienten Sinn macht, diesen zuerst auf «Herz und Nieren» zu prüfen, um körperliche Gründe für die Depression auszuschliessen. Eine Schilddrüsenunterfunktion kann zum Beispiel zu Depressionen führen.
«Die Entstehung von Depressionen ist vielfältig», sagt Schmid. Diskutiert wird unter anderem die Stresshypothese, bei der die Entzündung ein Baustein ist. Werden zum Beispiel bei Stress im Körper dauernd zu viele Stresshormone gebildet, weil eine ständige Anspannung nicht mehr herunterreguliert werden kann, kommt die Stresshormonachse aus dem Gleichgewicht. Wichtige Hirnbotenstoffe werden zu schnell abgebaut, es sammeln sich toxische Stoffe im Hirn an, die durch Schlaf abgebaut werden. Dieser Zusammenhang von Depression mit zu wenig oder schlechtem Schlaf, der das Immunsystem beeinflusst, sei gut dokumentiert. «Schlafen wir wenig, sind wir viel anfälliger für Entzündungen.» Deshalb mache auch aus dieser Sicht die Entzündungstheorie Sinn. Neben dem Entzündungsansatz gibt es eine neue grosse Richtung in der Depressionsforschung: die Ernährung. Untersucht wird das Mikrobiom, also welche Art der Ernährung die Bakterien im Darm beeinflussen, die sich dann auf die Psyche auswirken.
Wissenschaftlich erhärtet sei zum Beispiel auch durch eine neue skandinavische Studie, dass die Arbeitsdauer über neun Stunden schädlich sei und massgeblich zu Depressionen führe, sagt Schmid. Da braucht es keine Wunderpille, sondern eine Lebensstiländerung: Stressregulierung durch Entspannungs- und Achtsamkeitstraining, Sport, Licht und vor allem ausreichend Schlaf. Das beeinflusst Immunsystem und Stimmung und wird erfolgreich in der Depressionsbehandlung eingesetzt. Das ist zwar ein anderer Ansatzpunkt als jener, den die britischen Forscher mit der Suche nach der Pille einschlagen, zielt am Ende aber aufs Gleiche. «Der Wunsch nach einer Wunderpille ist gross. Der mono-klonale Antikörper könnte für eine Untergruppe der Depression relevant sein», sagt Schmid. Berücksichtigt werden müssten in der weitergehenden Forschung auch allfällige Nebenwirkungen.