Die wildesten Küsten, eine Spur Hollywood und Delfin «Fungie» – ins irische Dingle reisen nicht nur Star-Wars-Fans.
Der Film war kaum abgedreht, ist längst noch nicht zum Klassiker gereift. Aber bereits strömen sie heran wie die Atlantikflut: die Fans der Star-Wars-Reihe. Wenn man sie nicht ohnehin an ihren T-Shirts aus dem Fan-Versand erkennen könnte, dann daran, dass sie an den Naturschönheiten der Grafschaft Kerry schnurstracks vorbeigehen. Die wurde schon als «schönster Ort der Welt» betitelt. Doch die Touristen sind angezogen von der «Macht», fast schlafwandlerisch bewegen sie sich auf der Anhöhe namens Clogher Head auf ein Fernglas zu. Surreal, mitten im Heidekraut stehend. Als hätte es ein vergesslicher Requisiteur stehen lassen. Die Plakette daneben ist eingemauert: «Star Wars Location» ist darauf zu lesen. Einmal durchlinsen kostet einen Euro – so lange Irland noch an den Euro gekoppelt ist – und dafür wird man einer schroffen Landspitze ansichtig, vom Atlantik umspült, von Seevögeln bevölkert. Ceann Sibéal (Sybil Head), der äusserste Flecken Erde am Westende von Europa. Danach kommt nur noch Wasser, und irgendwann New York. Fans wissen: Hier leben Jedi-Ritter. Also, im Film.
Es war aber nicht ein Jedi-Meister, der diesen letzten Zipfel Europas für die Welt entdeckte, sondern ein Meister einer ganz anderen Zunft. Eddie Fowley malte 1969 auf seiner Karte einen Kreis um die Ortschaft Dingle. Weil die Iren ihm berichtet hatten, dort seien die wildesten Küsten zu finden. Genau, was er im Auftrag von David Lean suchte. Dessen Gewährsmann hatte für ihn schon die Sanddünen von «Lawrence von Arabien» und die verschneiten Steppen für Dr. Schiwago präpariert. Als Eddie die Strasse zum 1300-Seelen-Ort Dingle herabfuhr, entstand gerade das Skellig Hotel. Und Eddie glaubte an Vorsehung: «Dieses Hotel wird für uns gebaut!»
Heute ist das «Skellig» eines der besten Hotels am Platz, mit blitzschnellem Service und dem «Catch of the Day» immer frisch aus der Bay. Doch aus dem einfachen Fischerdorf ist längst ein Hotspot für Irlandreisende geworden, und in der Bay lebt seit 30 Jahren der bekannteste Anwohner: Delfin «Fungie». Die örtlichen Bootstouren-Betreiber dankten ihm mit einer Statue. Denn «Fungie» kommt so pünktlich wie der stündliche Nieselregen. Nur einer könnte für sich in Anspruch nehmen, in Dingle legendärer zu sein als «Fungie»: Robert Mitchum.
Der He-Man aus Hollywood bewohnte während der Dreharbeiten zu «Ryans Tochter» das Milltown-Haus – und zwar die gesamten elf Zimmer. Im Jahr 1970 wurden 50 Prozent des gesamten Shivas-Whiskeys im Land an dieser Hotelbar konsumiert. Die gerahmte Signatur des trinkfesten Stars hat einen Ehrenplatz über dem Tresen. Hinter dem Haus soll «Mitch», der lokalen Legende nach, Marihuana-Stauden angepflanzt haben. Zum häufigen Eigengebrauch. Die heutigen Betreiber des komfortablen Gasthauses sind mit Mitchums Familie gut bekannt. Es hat dem Geschäft nicht geschadet, dass der mürrische Hausherr seinerzeit das Haustelefon bediente und Reservationsanfragen mit «Hier ist das Dingle-Bordell» beantwortete.
Mitchum, der von Dorf-Rowdys eins ums andere Mal aufgefordert wurde, sein Image als Tough Guy unter Beweis zu stellen, verschlug es abends an die Bierquelle «Ashes Bar». Die Welt ist klein: Diese irische Familie ist verwandt mit Gregory Peck. Eines schönen Tages im Jahr 1968 stand der Weltstar einfach auf der Matte und reklamierte seine Verwandtschaft (seine Grosseltern waren von Dingle in die Neue Welt aufgebrochen, eine typisch irische Auswanderergeschichte). Peck blieb Dingle bis zu seinem Tod 2003 eng verbunden und inspirierte das jährliche Filmfestival. Als Sarah Miles, die Titelfigur von «Ryans Tochter», den Festivitäten kürzlich einen Besuch abstattete, gab sie sich einerseits freudig überrascht, welchen ökonomischen Wandel die Filmproduktion bewirkt hatte (die Produzenten liessen eine Million Pfund im ärmlichen Dingle). Andrerseits schalt sie die Behörden, der Verbauung durch Bungalows Vorschub zu leisten.
Dies hatte selbst der umsichtige Eddie Fowley nicht bedacht, als er sich damals dachte, Gott brauche sich nur um Natur und Wetter zu kümmern, «den Rest machen wir». Vom «Rest» ist heute tatsächlich einiges übrig. Das Schulhaus, zum Filmzweck aus robustem Granit gebaut, trotzt den salzigen Atlantik-Winden bis heute, auf der Klippe von Cillgubnait. Von hier aus erstreckt sich der Panoramablick schier endlos, über die Insel «Great Blasket» zur Linken und – dieser Name ist besonders treffend gewählt – den «Sleeping Giant» zur Rechten. Die Insel hat die Konturen eines im Wasser treibenden Riesen. Der Pilgerort des Schulgebäudes, so wissen die Einheimischen, wird besonders von Frauen besucht, die sich mit der «Tochter» des Films identifizieren – eine Geschichte um unerfüllte Sehnsüchte.
Wer von hier aus den Hügel Carhoo hinaufsteigt und sich von Weidezäunen nicht abhalten lässt, der stösst oberhalb des Dorfs Dunquin auf den Anarchonismus eines 100 Meter langen Kopfsteinpflasters, das in diesen einsamen Schafgründen nichts verloren hätte. Hier finden sich die Grundmauern der fiktiven Stadt Kirray. Die Filmemacher hatten 30 solide Bauten aus dem Boden gestampft, komplett mit Pub und katholischer Kirche. Bei Drehschluss wäre das ein Geschenk an die Region gewesen, der Film-Tourismus hätte profitieren können. Doch die örtlichen Bauern, die den verrückten Filmleuten ihr Land für 15 Pfund vermietet hatten (als die Dreharbeiten sich hinzogen, verlangten sie 75 – und bekamen sie), konnten sich nicht einigen, wer für den Unterhalt aufkommen sollte. So fuhren die Bulldozer auf.
Den unbestrittenen Star des Epos – den grossen Sturm – kann man natürlich weiterhin bewundern. Aufgenommen wurden die Sequenzen an drei verschiedenen Stränden, dem Inch-Strand, dem Barrow Beach und Coumeenoole, wo Lean um ein Haar zwei seiner Hauptdarsteller in den Fluten verloren hätte (er hatte die Warnung der Einheimischen vor der tückischen See in den Wind geschlagen). Dort errichteten die Dörfler einen Gedenkstein mit Widmung an die Filmschaffenden, für die unverwüstliche Kinowerbung. Alle beschriebenen Aussichtspunkte lassen sich auf dem Rundweg über die Halbinsel erreichen, dem schmalen Slea Head Drive – zuweilen eine Furcht einflössende Fahrt, zumal in diesem Land links gefahren wird.