Nabelschau in Liebesdingen – wie einem Klassentreffen den Spiegel vorhalten

In ihrer Kolumne «Liebes Leben, wir müssen reden» schreibt Social-Media-Redaktorin Maria Brehmer über alles, was das Leben schöner macht – und manchmal auch schwieriger. Heute: Wir alle hatten unsere Vorstellungen und Träume, auch in Sachen Liebe – an einem Klassentreffen blickt man auf diese zurück.

Maria Brehmer
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«Doch wie unsere zuweilen naiven Zukunftsvisionen auch aussahen, sie gaben uns das beruhigende Gefühl, (noch) alles aus unserem (Privat-)Leben machen zu können.» (Bild: Sandra Ardizzone)

«Doch wie unsere zuweilen naiven Zukunftsvisionen auch aussahen, sie gaben uns das beruhigende Gefühl, (noch) alles aus unserem (Privat-)Leben machen zu können.» (Bild: Sandra Ardizzone)

Leben verlaufen parallel, nie aber synchron. Nichts führt einem das so deutlich vor Augen wie ein Klassentreffen. Als Klasse betraten wir einst das Leben durch dasselbe Schultor, von da an verliefen unsere Biografien in alle Himmelsrichtungen. Die Damals-heute-Vergleiche, aus denen Klassentreffen im Grunde bestehen – «Läck, Moni, du hast dich ja gar nicht verändert!», «Wer von euch ist jetzt verheiratet?» –, wirken wie Spiegel für das eigene Leben: Und was ist aus mir geworden?

Nach der Matura ins Leben gestartet – unreif

Damals, das war vor 15 Jahren. In nylonglänzenden Kleidchen und ungebügelten Anzügen posierten wir Schülerinnen und Schüler der Klasse 4dL vor der Sporthalle Zuchwil, grinsend wie Lach-Emojis, die es 2004 noch nicht gab, noch wattig von der grossen Party vergangene Nacht. Das Klassenabschlussfoto sollte den ersten Meilenstein in unseren Leben festhalten: Wir hatten die Matura im Sack. Reif fühlte ich mich nicht. Muss ich ab heute wirklich wissen, was ich morgen will – und in 15 Jahren sein werde?

Was ich wusste: wie Zellteilung funktioniert. Wovon ich keine Ahnung hatte: wie Liebe geht. Damit war ich nicht allein. Einige aus meiner Klasse hatten bereits zum Teil schmerzhaft gescheiterte Beziehungen hinter sich, ich inklusive. Die einen hatten andere Interessen, die anderen waren seit Jahren mit ihrer ersten Liebe liiert – viel Drama inbegriffen. Nach der Matura begann für viele der Lebensabschnitt «Ich hab’s geschafft – und bin dann mal weg»: Jenni hoffte, auf einer Uni im Ausland endlich einen netten Typen zu finden. Lisa wollte sich ganz ohne romantische Ablenkungen aufs Studium konzentrieren (sagte sie zumindest). Auch ich wollte jetzt raus aus meiner Kleinstadt und Spass haben, wo mich niemand kannte. Und mich vom emotionalen Durcheinander lösen, dem ich jahrelang so treu war.

Klassentreffen: Flashback und persönliche Bilanz

Wir alle hatten unsere Vorstellungen und Träume, auch in Sachen Liebe. Dass alles anders kommen würde, ahnten wir. Doch wie unsere zuweilen naiven Zukunftsvisionen auch aussahen, sie gaben uns das beruhigende Gefühl, (noch) alles aus unserem (Privat-)Leben machen zu können.

15 Jahre später, das war letzte Woche. Meine Matura-Klasse traf sich wieder, und es war Flashback, Standortbestimmung und persönliche Bilanz in einem. Bei Fondue und flaschenweise Weisswein lachten wir über unsere schlechten Witze von damals und unseren Alltag von heute («Party? Ich weiss gar nicht mehr, wie man das schreibt!»).

Wo wir inzwischen landeten: in Ehen, Fern-, Lang- und Kurzzeitbeziehungen, manche in Familien. Niemand ist geschieden! Dass wir viel über Beziehungen sprachen, überrascht nicht. Denn trotz der Verschiedenartigkeit an Lebensentwürfen, die wir an diesem Abend vereinten, war und ist die Liebe das, was in jeder Biografie irgendwann auftaucht. Dass alles anders kam, war Gesprächsstoff genug.