Es hilft nichts, wir müssen zurück ins Grossraumbüro. Doch was ziehen wir dazu an? Joggpants.
Der Tag kommt, er war vielleicht schon da, wo Mann oder Frau vor dem Kleiderschrank steht und fieberhaft überlegt, was man denn früher so ins Büro angezogen hat. Die Hemden, Röcke und Polos fühlen sich seltsam fremd an, steif und unbequem – nach einem Jahr in ausgeleierten Shirts und bequemen Trainerhosen. Wird die Pandemie also auch die Art, wie wir uns für die Büroarbeit kleiden, nachhaltig verändern?
«Ja», sagt Lukas Weber, Mitglied der Geschäftsleitung des gleichnamigen Modehauses mit mehreren Filialen in der Ostschweiz. Corona habe dem schon länger anhaltenden Trend zu mehr Bequemlichkeit massiv Schub verpasst. Gerade bei der Herrenmode sei das sichtbar. «Die Hersteller sind unglaublich innovativ, was Farben und Stoffe angeht.» Stretch und Elasthan, wohin man blicke; steif und unbequem, das wolle niemand mehr.
Was Weber sagt, bestätigt ein Blick auf klassische Herrenmodemarken wie Strellson. Die Inszenierung der Businessmode könnte ferienhafter nicht sein.
Raus aus dem Büro, an den Strand, ins Café. Dafür werden die Hosen hochgekrempelt, trägt Mann, ohne eine Modesünde zu begehen, Kurzarmhemden – am liebsten aus leicht zerknittertem Leinen. «It’s everday casual friday», das scheint die Devise zu sein. «Die Leute werden anfangen, sich für sich selbst zu kleiden, und nicht mit dem, was von ihnen bei der Arbeit erwartet wird», orakelt Stilist Sascha Lilic im Branchenportal Fashion United.
Die Hose der Stunde ist darum eine perfekte Vermählung einer Trainerhose mit Gummizug oben und einer Bundfaltenhose unten. «Joggpants» sagt der modeaffine Mensch dazu. Den Begriff sollten Sie sich merken. Die Hose auch, sie ist ideal, um den allfälligen Coronabauch nicht zu sehr abzuschnüren.
Der Überbegriff für diese neue Businessmode lautet Workleisure, eine Verschmelzung von Büro- und Sportkleidern (Athleisure). Gemeint sind Yoga-Leggins: so schick (und teuer), dass man sie ins Büro tragen kann; oder die Kombination von Kapuzenpullovern mit Blazer, wie sie junge Blogger gerade auf der Strasse zeigen. Dass Mann und Frau dazu fast nur noch Turnschuhe trägt, ist auf jeden Fall keine Frage des Alters mehr.
Für den Modefachmann Lukas Weber kommt es bei Workleisure aber auf die Details an. «Hochwertige Stoffe, gute Schnitte und ein Händchen fürs Kombinieren sind die Voraussetzung, dass dieser Look gut und nicht allzu zufällig aussieht.»
Die Lockerung der Kleiderordnung in der Berufswelt war schon lange vor der Pandemie im Gange, angeführt von der Tech-Branche und der Start-up-Generation. Der Wind wehte sogar bereits in der Bankenbranche, als Goldman Sachs vor fast zwei Jahren eine «flexible» Kleiderordnung einführte, welche die Mitarbeiter ermutigte, «sich auf ihr eigenes Urteil zu verlassen, was für ihren Arbeitstag angemessen ist.» Doch plötzlich beschleunigte sich alles.
Das hatte Folgen. Vergangenes Jahr verabschiedeten sich mehrere bekannte Modehersteller vom Markt, bei denen der Anzug im Fokus stand. Etwa der klassische Herrenausstatter Bäumler oder das bekannte deutsche Familienunternehmen Strenesse. Der auf luxuriöse Herrenkonfektion spezialisierte New Yorker Designer David Hart hat den Anzug «vorerst auf Eis gelegt» und konzentriert sich auf Strickwaren, Pullover und Polohemden.
Wie massiv der Schub in Richtung Lässigkeit und Bequemlichkeit ist, zeigt auch das Beispiel des amerikanischen Fashionbrands Ministry of Supply Inc, bekannt für Button-down-Hemden und gut geschnittene Hosen. Nachdem die Verkaufszahlen über Monate massiv zurückgegangen waren, reagierte man diesen Frühling. Nähte in Hosen Gummizüge, kürzte Hemden und fotografierte die Kollektion neu mit Models, welche die Hemden offen trugen und Turnschuhe dazu kombinierten.
Markenchef Gihan Amarasiriwardena sagte gegenüber dem «Wall Street Journal»:
«Niemand steckt das Hemd jetzt noch in die Hose.»
Er betonte aber, dass es einen Unterschied gebe zwischen einem gut geschnittenen Shirt aus etwas schwererem Stoff und dem Shirt, das man sich zum Sport überziehe. Für Firmen, welche für ihre zurückkehrenden Mitarbeitenden den Dresscode lockern, wird es zu einer Gratwanderung werden, zu schauen, dass sich alle im Büro wieder wohlfühlen und trotzdem niemand in Ferienshorts daherkommt.
Aber nicht allen scheint der Sinn nach mehr Lässigkeit zu stehen: konkret den Männern mehr als den Frauen. Gemäss dem US-«Klarna Consumer Survey 2021» wollen fast 60 Prozent der befragten Männer bei der Arbeit künftig bequemere Kleidung tragen, während es bei den Frauen nur knapp 40 Prozent sind. Etwas mehr Frauen als Männer gaben zudem an, etwas schicker und eleganter als zuvor ins Büro zurückkehren zu wollen. Für Lukas Weber nicht erstaunlich.
«Frauen haben oft mehr Freude daran, sich schön anzuziehen, ihnen hat die Mode wohl mehr gefehlt als manchen Herren.»
Ähnliches beobachtet die Modeexpertin Diana Weiss. «Ich glaube, es gibt eine grosse Sehnsucht danach, sich wieder schön anzuziehen.» Wenn man jetzt auf Instagram schaut, sieht man auch immer wieder Leute, die sich einfach zu Hause ihre schönsten Kleider anziehen und Fotos davon machen.
In ihrer Modeboutique in Zürich fällt Weiss auf, dass Frauen nun oft zu knalligen Farben, auffälligen Mustern greifen. «Sie wollen wieder gesehen werden. Wenn schon ein neues Kleid, dann ein etwas extravagantes. Graue Maus hat man jetzt eineinhalb Jahre lang gespielt.» Diana Weiss betont wie ihr Berufskollege Lukas Weber, dass der Trend zur Lässigkeit das Anziehen nicht einfacher mache. «Es ist schwieriger, alles zusammenzustellen, wenn die Möglichkeiten, was man anziehen kann, immer grösser werden.»