Interview Seit Sonntag widmet das Schweizer Fernsehen den Kindern einen Themenschwerpunkt. Denn für die allermeisten Kinder gehört Fernsehen zum Alltag. Entscheidend ist gemäss der Zürcher Medienpädagogin Cornelia Biffi, dass sie nur schauen, was für sie geeignet ist. Doch was ist das? Robert Knobel
Cornelia Biffi: Empfohlen werden maximal 30 bis 60 Minuten für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren. In der Realität schauen Kinder aber viel länger fern, nämlich durchschnittlich 80 bis 90 Minuten. Ich finde, man sollte das Fernsehen gezielt einsetzen – wenn etwas Spannendes kommt, können Kinder durchaus etwas länger vor dem Bildschirm sitzen. Dafür gibt es dann zum Beispiel an den folgenden Tagen kein Fernsehen.
Biffi: Fernsehen gehört nun einmal zu unserer Kultur. Kinder sollen die Chance erhalten, den Umgang damit zu erlernen. Ausserdem bietet das Fernsehen für Kinder eine ganze Menge – spannende Geschichten oder Wissenssendungen, bei denen die Kinder viel lernen können.
Biffi: Das ist ja auch legitim. Man darf die Kinder ruhig einmal vor den Fernseher setzen, wenn man etwas Wichtiges zu erledigen hat. Das Problem ist vielmehr, dass die besten Sendungen meistens nicht dann kommen, wann es für Kinder und Eltern am günstigsten wäre. Kindersendungen werden aus ökonomischen Gründen zunehmend in unattraktive Tageszeiten verdrängt.
Deshalb kann es sich lohnen, eine DVD oder eine aufgenommene Sendung zu zeigen.
Biffi: Unter zweieinhalb Jahren ist Fernsehen nicht sinnvoll. Kleinkinder sollen lieber ihre Umgebung erkunden und möglichst viele Erfahrungen mit ihrer natürlichen Umwelt machen.
Wichtig ist: Es genügt nicht, Kinder einfach vom Bildschirm fernzuhalten, da sie stark auf akustische Reize reagieren. Einen Actionfilm zu schauen, wenn das Kind im Nebenzimmer schlafen soll, ist sicher nicht ideal.
Biffi: Sogar in Märchen geht es oft um Mord und Totschlag, man denke nur an Schneewittchen, Rotkäppchen oder Hänsel und Gretel.
Dort gewinnt aber immer das Gute. Aus Studien weiss man, dass weniger die Anzahl als vielmehr die Art der Darstellung der Gewalt entscheidend ist. In einem Western kippen Menschen ja meistens einfach um, wenn sie erschossen werden. Eine qualvolle, brutale Darstellung kann hingegen sehr belastend sein. Die Eltern sollten ihre Kinder vor unnötigen Gewaltdarstellungen schützen.
Biffi: Ich sehe vor allem ein Problem, wenn über mehrere Medien Gewalt konsumiert wird – also beispielsweise in Kombination mit Killerspielen. Ansonsten lautet die Frage: Gegen wen wird die Gewalt im TV angewendet? Wie wird sie legitimiert? Kinder lernen am Fernsehen Verhaltensmuster für bestimmte Situationen kennen, die sie unter Umständen in ihren Alltag transferieren. Deshalb ist wichtig, dass das Gesehene verarbeitet und eingeordnet werden kann.
Biffi: Fernsehen soll ja immer unterhaltsam sein. Wenn ein Kind nicht mehr lachen kann oder sogar in Angst erstarrt, ist die Sendung ungeeignet. Deshalb sollte man die Reaktion des Kindes genau beobachten. Zudem sollte man auf die Dramaturgie achten. «Teletubbies» sind für kleine Kinder geeignet, weil es kurze Spannungsbögen, viele Wiederholungen und eine dezente Geräuschkulisse gibt. Mit einem 90minütigen Disney-Trickfilm wäre ein 4-Jähriger hingegen ziemlich überfordert.
Biffi: Sie bieten eine Orientierung, sind aber generell zu tief angesetzt. Zudem gibt es unter 6 Jahre keine Abstufung mehr. Doch nicht alles, was 5-Jährige schauen können, ist auch für 3-Jährige geeignet. Trickfilme haben zum Beispiel keine Altersbeschränkung, doch für kleine Kinder sind sie viel zu schnell und viel zu laut.
Biffi: Wer kein Fernsehen will, kann den Kindern auch ausgewählte DVDs zeigen. Bei völliger Abstinenz besteht die Gefahr, dass sie anderswo fernsehen. Das ist dann nur schwer zu kontrollieren.
Biffi: Das Problem ist meistens nicht der Fernseher, sondern die Lebensumstände und das Vorbild der Eltern. Studien haben gezeigt, dass Kinder lieber nach draussen gehen, als vor dem Fernseher zu sitzen.
Aber was, wenn das nicht möglich ist – zum Beispiel weil es im Quartier keinen Platz zum Spielen gibt oder weil man keine Freunde hat? Da muss man grundsätzlich etwas ändern. Einfach zu sagen: «Geh doch wieder mal Fussball spielen», funktioniert nicht.