Heute sind es nur noch neun

Etliche Zirkusunternehmen buhlen in der Schweiz um das Publikum. Wie lebt es sich im Schatten des grossen Schweizer National-Circus Knie? Zwei Direktoren über Gentlemen’s Agreement, Ärger mit Behörden und Kampf ums Publikum.

Julia Nehmiz
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Die übrig gebliebenen Schweizer Zirkusse haben nicht viel zu lachen. (KEYSTONE/Walter Bieri)

Die übrig gebliebenen Schweizer Zirkusse haben nicht viel zu lachen. (KEYSTONE/Walter Bieri)

Es ist kalt, es regnet, und Anfang Woche stürmte es. Nicht unbedingt die perfekten Bedingungen, um eine Vorstellung im Zirkuszelt zu besuchen. Doch die Saison startet: Circus Helvetia tourt seit Ende Februar, Circus Royal ist seit einer Woche auf Tour, Circus Stey ab heute. «Wir sind auf gutem Weg», sagt der ehemalige Zirkusdirektor Rolf Stey. Er und seine Frau haben zwar schon vor acht Jahren dem Sohn die Leitung übergeben, doch so ganz loslassen können sie nicht.

Das Ehepaar leitet noch immer den Weihnachtszirkus in Luzern. Auf der Tournee jetzt wirkt Rolf Stey zwar nicht mehr öffentlich mit, aber im Hintergrund gibt es für ihn noch viel zu tun. Gestern standen die letzten Proben an, mittags noch ein Ablauf ohne Kostüme, abends dann die Generalprobe. Auf- und Abbau müssen geübt werden, der Ablauf muss stimmen, alles muss ineinandergreifen. «Die Artisten beherrschen ihre Nummern, die müssen nicht proben, sie müssen sich integrieren», sagt Stey. Er freut sich auf die Premiere: «Es sieht gut aus.»

Rolf Stey ist 74 Jahre alt, und er hat sein ganzes Leben im Zirkus verbracht. Die Schweiz, das ist nicht nur Circus Knie, der grosse, fast schon übermächtige, der sich Schweizer National-Circus nennt und dieses Jahr mit seinem 100-Jahr-Jubiläum viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. In der Schweiz gibt es noch immer viele Zirkusunternehmen. Die Seite Circusfreunde nennt 29 auf ihrer Liste. Allerdings sind darunter auch Unternehmen wie Das Zelt (ein tourender Veranstaltungsort für Comedians und Konzerte), Karls Kühne Gassenschau (ausgefallene Freiluftspektakel), Mitmach- und Strassenzirkusse (siehe Text unten) oder das bereits geschlossene Broadway-Variété.

Und es sind fast immer Familienbetriebe, wie Circus Knie einer ist, nur ein oder zwei Nummern kleiner. Wie behaupten sie sich gegen die grosse Konkurrenz? «Jeder Zirkus hat seine Nische gefunden», sagt Rolf Stey. Man komme gut aneinander vorbei. Es sei wie bei einem kleinen Geschäft, das sich gegen Migros und Coop durchsetzen muss. Nicht dagegen ankämpfen, sondern seine Sache so machen, dass es die Existenz rechtfertigt. «Wir haben Zuschauer, die unseren Zirkus schätzen», sagt Rolf Stey. Die Steys setzen mit ihrem Programm auf Kinder – und auf kleine Spielorte, die der grosse Knie nicht bedient: so war Stey in den letzten Jahren der einzige Zirkus, der im Appenzellerland auftrat.

War der vorherige Zirkus schlecht, kommt kein Publikum, egal wie gut man selber ist.

Das funktioniert, weil es unter den Zirkussen ein Gentlemen’s Agreement gebe, sagt Stey. So toure Circus Nock als einziger durchs Bündnerland, da funke man ihm nicht drein. Dafür lässt Nock die Steys im Appenzellerland in Ruhe. Man profitiere von der Qualität der anderen. «Wenn man drei Monate nach einem guten Zirkus im selben Ort ein Gastspiel hat, kommt das Publikum. War der vorherige Zirkus schlecht, kommt kein Publikum, egal wie gut man selber ist.»

Familientradition: der Stammbaum reicht bis 1437

Circus Stey nennt sich Schweizer Traditionszirkus. Der Stammbaum geht zurück bis 1437, sagt Rolf Stey. Doch das Geschäft ist härter geworden. Es sind weniger Zirkusse geworden. Sie kämpfen alle mit denselben Problemen. Behördliche Auflagen, Plakatierung, das sei viel schwieriger geworden, sagt Stey.

Damit kämpft auch der Direktor des Circus Royal. Der Auftakt der Tournee war gut, sagt Oliver Skreinig. «Aber hinter den Kulissen ist es chaotisch.» Die Visabeschaffung für seine Artisten, der Aufwand werde immer grösser. «Für jeden Mitarbeiter, der aus einem Drittstaat kommt, muss ich nachweisen, dass ich niemanden aus der EU finden konnte.» Und selbst wenn er das alles belegen kann, ist man vor Pannen nicht gefeit. So hatte er eine Gruppe, 33 Leute, aus Marokko und Kuba engagiert, sie sollten am 28. Februar in die Schweiz fliegen, am 1. März war Arbeitsbeginn. «Die standen am Flughafen und durften nicht ins Flugzeug, weil ihre Visa erst auf den 1.März ausgestellt waren.» Skreinig musste alles umbuchen.

Zirkus ist beim Publikum so beliebt wie Theater

Auch über die Bestimmungen für Plakatierung ärgert sich Skreinig. Umständliche Genehmigungen, die man einholen müsse. Teure Gebühren, um Plakate aufzuhängen. Aber ohne Plakate erfährt ja niemand, dass der Zirkus im Ort ist. «Als ich 1996 in die Schweiz kam, sind noch rund 15 Zirkusse durch die Schweiz getourt», sagt Oliver Skreinig. Heute sind es noch rund neun, die im klassischen Sinn mit Zelt, Artisten, Clowns und Tieren durch das Land touren. Dazu kommen noch die anderen Zirkusformen: Strassenzirkus, Nouveau Cirque, Weihnachtszirkus, Mitmachzirkus, Circus-Variété. Alle hätten mit denselben Problemen zu kämpfen, sagt Skreinig: Nebst administrativem Aufwand und erschwerten Bedingungen für Werbung sei es der Kampf um Zuschauer. Die Konkurrenz an Freizeitunterhaltung sei einfach zu gross.

Die Konkurrenz an Freizeitunterhaltung ist einfach zu gross.

Da spielt der Zirkus heute nur noch eine untergeordnete Rolle. War er Ende des 19. Jahrhunderts noch die modernste und beliebteste Freizeitbeschäftigung, kämpft er heute gegen ein breites Kulturangebot. Und hält sich trotzdem wacker: Gemäss einer Erhebung des Bundesamtes für Statistik besuchen Herr und Frau Schweizer Zirkus und Revuen ähnlich gerne wie Theater oder Bibliotheken. Doch Kino, Konzerte und Museen erfreuen sich deutlich grösserer Beliebtheit.

Im Kampf um Aufmerksamkeit setzt Circus Royal jetzt – als einziger in der Schweiz – auf Raubtiere im Programm: Drei Löwen reisen mit. Doch sein Zirkus sei mehr, sagt Skreinig: «Ich will mit der ganzen Show unterhalten, nicht nur mit einer Löwennummer.»

25000 Franken kostet sein Zirkus täglich

Ob sich die Raubtiernummer auszahlt? Das weiss Skreinig erst am Ende der Tournee. Er hofft es. Für sein 120-Mann-Unternehmen muss er viele Einnahmen generieren. 25000 Franken koste sein Zirkus täglich. Personalkosten, Versicherungen, Standplatzmiete, Werbung – das summiere sich schnell. Sein Unternehmen ist jung, er hat die Circus Royal GmbH letztes Jahr gegründet, just zwei Wochen bevor die Circus Royal Betriebs GmbH Konkurs anmeldete. Vom Konkurs seines ehemaligen Lebensgefährten Peter Gasser habe er damals nichts gewusst. Er führe den Circus Royal im Sinne Gassers weiter, der letzten Herbst starb. Und dass Radsportlegende Beat Breu seit Ende Februar nicht mehr den Gastrobereich des Zirkus’ führe, liege daran, dass dessen Vertrag auslief, sagt Skreinig. Doch ungeachtet aller Widrigkeiten: Die Tournee sei gut gestartet. Und Skreinig selber steht nebenher vor der Kamera, er spielt in einer deutschen TV-Serie – welche, dürfe er nicht verraten.

Circus Stey, 30 Mitarbeiter, aktuell im 600-Mann-Zelt unterwegs, schaut positiv in die Zukunft. Man habe bislang immer ein Auskommen gehabt mit dem Circus, und das werde auch in naher Zukunft so bleiben. Doch etwas wünscht sich Rolf Stey für die Zukunft: Dass es einfacher werde mit den Behörden. Zirkus sei doch die älteste Kultur in der Schweiz. Und dass alle Zirkusse gleich behandelt würden, egal ob sie klein oder gross sind.