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Leben
Nobelpreisträger Jacques Dubochet hatte immer Mühe mit der Sprache. Logopäden sind dennoch nicht überrascht, dass er höchste akademische Ehren erhielt.
Tausende von Eltern – und vielleicht auch deren Kinder – dürften am Mittwoch aufgeatmet haben: Er ist Legastheniker und trotzdem holte der Romand Jacques Dubochet den Nobelpreis für Chemie. Nobelpreise bekommen doch nur die klügsten Köpfe der Welt und nicht solche, die sich einst durch die Schule haben kämpfen müssen. Aber offenbar ist eine ausgeprägte Lese- und Rechtschreib-Schwäche, wie sie auch bei Dubochet im Alter von 13 Jahren diagnostiziert worden ist, kein Hindernis, um am Ende der Karriere die höchsten akademischen Ehren zu erhalten.
Obwohl Dubochet viele Jahre in Heidelberg geforscht hat, spricht er nur wenig Deutsch. Er habe ein sehr schlechtes Gedächtnis und enorme Schwierigkeiten gehabt, sich deutsche Wörter zu merken, sagte Dubochet gegenüber dem «Tagesanzeiger». «Aber ich musste lernen damit umzugehen und kreativ sein.» Glück hatte Dubochet wohl auch, denn zuerst stand ihm ein Sekundarlehrer bei, dann suchten seine Eltern immer wieder eine neue Kantonsschule, bis er schliesslich in Trogen AR die Matur machen konnte.
Auch später musste er sich durch unzählige Texte kämpfen und viele selbst schreiben. Bérénice Wisard, Logopädin im Kanton Freiburg und Vorstandsmitglied des Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverbandes, erklärt, wie das sein kann.
Bérénice Wisard: Nein, es überrascht mich nicht. Die Lese-Rechtschreib-Störung ist kein Hindernis für eine naturwissenschaftliche Karriere und auch grundsätzlich für keine andere Karriere.
Nein, auch sehr intelligente und hochbegabte Leute können eine Lese-Rechtschreib-Schwäche haben.
Das kann es sein. Aber wenn man Kompensations-Strategien lernt, kann es sein, dass die Schwäche im Alltag von anderen gar nicht bemerkt wird.
Sie können sich beispielsweise einen Text in kleine Päckchen einteilen und nicht alles aufs Mal lesen. Beim Schreiben helfen natürliche Rechtschreibeprogramme und beim Vorlesen ist es wichtig, dass sich Legastheniker Zeit nehmen.
Lese-Rechtschreib-Schwächen sind heute anerkannte Störungen für die ein Schüler Anrecht auf einen Nachteilsausgleich in der Schule hat. Das kann bedeuten, dass ein solcher Schüler mehr Zeit für eine Aufgabe erhält oder den Computer benützen darf. Und dann können solche Schüler, die in Mathematik, Biologie oder eben Chemie gut sind, ohne weiteres eine Kantonsschule besuchen. Sie müssen ihr Handicap einfach ein Stück weit kompensieren können.
Ja, oder engagierte Lehrpersonen.
Das weiss ich nicht, ich kann nicht sagen, ob Schüler mit einer Lese-RechtschreibStörung öfter die Berufsmatur machen, statt direkt ans Gymnasium zu gehen. Es gibt den Nachteilsausgleich in einigen Kantonen auch an Berufsschulen und Kantonsschulen.
Das ist individuell verschieden und es hängt auch von der Persönlichkeit ab, wie man damit umgeht. Ausserdem von Faktoren wie Aufmerksamkeit, Verhalten, Unterstützung vom Umfeld, Lernstrategien, kognitive Fähigkeiten, Wahrnehmung. Da spielt viel mit.
Es ist keine Krankheit, die man heilen muss, drum reden wir nicht von auswachsen. Aber wenn man eine Legasthenie-Therapie hatte, kommt es oft zu einem guten Lesefluss. Dann ist meist nur noch das Lesetempo ein Problem.
Ja, das hängt zusammen. Auch dafür brauchen die Betroffenen meist mehr Zeit und Unterstützung. Aber es ist unterschiedlich, nicht allen, die Mühe im Schreiben haben, fällt auch das Lesen schwer oder umgekehrt. Und nicht alle haben beim Textverständnis Mühe. Nicht betroffen ist auf jeden Fall der mündliche Ausdruck.
Ja genau, das ist kein Problem.
Nein, das kann man nicht sagen. Die angebliche starke Kreativität, von der man früher ausging, hat sich nicht bestätigt.
Ja sicher. Wenn man die Hilfe erhalten hat und sie sinnvoll fand.
Vielleicht haben ihm seine Eltern unbewusst nützliche Strategien beigebracht. In meinem Alltag sehe ich nicht, dass sich Schüler mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche alleine helfen können.