Spätestens dann, wenn wir an Klassentreffen über Krankheiten reden, wird uns klar: Man muss heute leben. Hier und jetzt.
Wir hatten ein Klassentreffen – und ich ging hin. Es war ein erstaunlich gemütlicher Abend. Mich überraschte allerdings, dass schon beim Apéro einige Kollegen von ihren Herzinfarkten erzählten. Wir sprachen über Krankheiten, sogar über künstliche Darmausgänge.
Noch beim letzten Treffen, erst gerade fünf Jahre her, wären uns solche Themen nie in den Sinn gekommen. (Ein paar Monate danach starb allerdings ein Kamerad an einem Herzstillstand.) Auf dem Heimweg von diesem Treffen wurde mir klar:
Wir werden älter und alt. Wie alle anderen auch. Eine Erkenntnis, für die man natürlich kein Klassentreffen braucht.
Das Altersthema werde ich jetzt sowieso nicht mehr los. Selber schuld, könnte man sagen. Vergangene Woche ist nämlich mein siebzehntes Buch erschienen, «heimelig», das von der aufmüpfigen Nelly und ihren Erlebnissen im Altersheim erzählt.
Kein Wunder also, dass jetzt alle mit mir über Altersheime sprechen wollen oder mich fragen, wie ich mir denn mein eigenes Alter vorstelle. Oder dann möchten sie von mir Lösungen hören, für die von mir beschriebenen Zustände in den Heimen. Dabei bin ich doch nur eine Geschichtenerzählerin und habe mehr Fragen als Antworten und ganz bestimmt keine Lösungen parat. Und da ich keine Politikerin bin, muss ich auch nicht so tun, als hätte ich welche.
Trotzdem: Die Fragen müssen unbedingt gestellt werden. Ich denke nämlich, dass der Spardruck die Arbeit in den Heimen langsam unerträglich macht und dass am Ende natürlich die Bewohner alles ausbaden müssen.
Und ja, das Bad wird immer kälter. Bis ich dann mal ins Altersheim komme, muss ich wohl einen Eispickel mitbringen.
Bei jedem Buch, das ich schreibe, lerne ich viel. Eines fernen Tages werde ich richtig schlau sein. Vielleicht beim hundertsten Buch. Und was habe ich beim Schreiben von «heimelig» gelernt? Nur etwas, das ich sowieso schon wusste. Im Buch lasse ich es meine Nelly in diese Worte fassen:
«Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Das habe ich neulich irgendwo gelesen. Und es stimmt. Was bringt es mir, wenn ich bei bester Pflege und im Schongang hundert Jahre alt werde? Der Möbelriese Ikea fragt in der Werbung: ‹Wohnst du noch, oder lebst du schon?› Das frage ich mich auch immer öfter, wenn auch nicht im Zusammenhang mit meiner Inneneinrichtung. Und jeder Todesfall bringt diese Frage wieder in Grossbuchstaben vor mein inneres Auge. Es geht doch nicht darum, irgendeinen Altersrekord zu brechen, sondern ein lebenswertes Leben zu führen. Worauf warte ich also?»
Je mehr man sich mit dem Alter befasst, desto klarer wird einem: Man muss heute leben. Hier und heute. Sozusagen jetzt. Wir sitzen nicht im bequemen Kinosessel und schauen unseren Film an. Wir SIND der Film. Und wir müssen selber für Action sorgen und dafür, dass es ein Film wird, wie wir ihn mögen. Ich habe mich gerade für eine Liebeskomödie entschieden. Mit Panflötenmusik.