Kolumne
Papa-Blog: Warum ich keine Fotos von meinen Kindern ins Netz stelle

Die ersten Schritte, der erste Schultag, die Premiere beim Skifahren: Millionen von stolzen Eltern fotografieren ihre Kinder und laden die Bilder auf soziale Netzwerke hoch. Das hat Tücken.

Jürg Ackermann
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Bild: Getty

Martina Hingis hat es diese Woche wieder getan. Im Blick-TV streckte die ehemalige Tennisspielerin fröhlich ein paar Bilder ihrer einjährigen Tochter in die Kamera. Lia an der Fasnacht, Lia im Tragegurt beim Wandern, Lia auf einer traumhaften Ferieninsel auf den Malediven. Wer Hingis auf sozialen Netzwerken oder in den Boulevardmedien folgt, erhält einen fast schon intimen Einblick in ihr Familienleben.

Der ehemalige Schweizer Tennisstar ist nicht allein. Weltweit stellen Hunderte von Millionen von Eltern Bilder von ihren Kindern – meist viel verfänglichere als bei Hingis – ins Internet. Tendenz steigend. Die «New York Times» hat kürzlich in einem Artikel darüber berichtet, dass von fünfjährigen US-Bürgern im Durchschnitt 1500 Fotos online zu finden sind.

Das Phänomen heisst neudeutsch «Sharenting». Es setzt sich aus den englischen Wörtern share (teilen) und parenting (Elternschaft) zusammen. Der neueste Trend der elterlichen Selbstinszenierung: Mama oder Papa filmen die Reaktion (meist Freudentränen) ihrer Kinder, wenn sie ihnen die Zeugnisnoten zum ersten Mal vorlesen und stellen die Video-Sequenz auf Youtube.

Nur Oma und der Götti erhalten ein Bild

Zugegeben: Als Eltern ist man in so vielen Situationen stolz auf das, was die Kinder machen oder erreicht haben. Und der Griff zur Smartphone-Kamera nicht weit, um die scheinbar faszinierendsten Momente für die eigene Familiengeschichte festzuhalten.

Natürlich erhalten die Oma oder der Götti ein Bild, wenn einer beim Abschlussrennen der Skischule aufs Podest gerast ist. Und natürlich auch eins vom ersten Schultag, wenn sie selber nicht dabei sein können. Mir wäre es aber nie in den Sinn gekommen, diese Fotos mit Menschen zu teilen, die nicht zum engsten Verwandten- oder Freundeskreis gehören.

Mal abgesehen davon, dass ich von Natur aus ein nicht sehr exhibitionistisch veranlagter Mensch bin, gibt es bei der Veröffentlichung von Kinderbildern im Internet viele Tücken. Zu viele.

Die Gewichtigste: Meist werden Kinder nicht gefragt, ob sie damit einverstanden sind. Und wenn sie gefragt werden, sind sie oft zu klein, um mögliche Konsequenzen zu überblicken. Kinderanwälte und Datenschutzexperten sprechen darum zu Recht davon, dass die Veröffentlichung von Kinderbildern auf sozialen Plattformen immer auch eine potenzielle Verletzung ihrer Privatsphäre sind.

Denn das grosse Problem im digitalen Zeitalter ist: Elektronische Spuren lassen sich nicht mehr verwischen. Schnappschüsse sind meist auch 20 Jahre nach Entstehung noch auffindbar. Es muss daher ein seltsames Gefühl sein, wenn Teenager beim Surfen im Internet plötzlich Tausende Bilder aus ihrer Kindheit entdecken, die ihnen im Nachhinein vielleicht peinlich sind und die möglicherweise nun auch für ihre Lehrer oder ihre zukünftigen Arbeitgeber einsehbar sind.

Dehnt sich das Familienglück auf Facebook aus?

Zudem glaube ich auch nicht, dass sich das Familienglück ausdehnt, nur weil man es online zelebriert und damit mit Tausenden anderen teilt. Hier geht es vielmehr um Selbstbestätigung der Eltern, um Lechzen nach Anerkennung und eine trügerische Selbstvergewisserung, wie toll das alles ist – im Zeitalter einer ausufernden Likes-Kultur.

Eindrücklich war diesbezüglich eine Reaktion einer Mutter im erwähnten Beitrag der «New York Times». Sie sagte, ein Erlebnis mit den Kindern fühle sich gar nicht mehr echt an, wenn sie dieses nicht auf Instagram poste. Im Vordergrund steht also nicht das gelebte Leben an sich, sondern vor allem dessen Inszenierung und die Reaktionen, die damit ausgelöst werden.

Noch nicht lange her ist auch ein drastischer Fall aus dem Kanton Bern. Dort hörte eine Grossmutter nicht damit auf, Fotos von sich und ihrer siebenjährigen Enkeltochter ins Netz zu stellen, obwohl die Mutter ihr das verboten hatte. Am Schluss musste die Kesb eingreifen.

Gemäss Experten können scheinbar harmlose Familienfotos von den Strandferien, die auf Facebook gestellt wurden, zudem auch in abgeänderter Form in Pädophilenforen auftauchen.

Es sind nicht nur abschreckende Beispiele wie diese, die zeigen, dass es beim Sharenting um vieles, aber eigentlich nie um die Bedürfnisse der Kinder geht. Denen ist es egal, ob das gepostete Video auf Facebook 86 oder nur 11 Daumen-hoch-Reaktionen auslöst. Viel wichtiger ist es für sie, dass jemand Zeit mit ihnen verbringt und sie – im besten Fall – dabei nicht ständig filmt.


Jürg Ackermann lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen (8 und 6) in St. Gallen.