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Manche Eltern nehmen es in den Sommerferien locker. Das tut tagsüber gut - ist aber schlecht für den Feierabend.
Was haben Kinder und Junkies gemeinsam? Beide brauchen eine Struktur, um durch den Tag zu kommen. Im Fall der Kinder heisst das: Wecken, Anziehen, Zmore, Znüni, Zmittag, Zvieri, Znacht und jeden Tag nach jedem Essen Zähneputzen nicht vergessen. Am Abend dann wieder Kleider-Ausziehen, Pyjama-Anziehen, Gute-Nacht-Geschichte-Lesen und schliesslich und endlich: Feierabend.
Eltern unterscheiden sich stark darin, wie sie mit dieser Tagesstruktur umgehen. Manche scheinen sie fast nötiger zu haben als ihre Kinder. Wenn der Zmittag nicht Punkt zwölf parat ist, werden diese Erziehungsberechtigten nervös wie Heroinsüchtige, deren Stofflieferung sich verspätet. Andere – und dazu gehört unsere Familie – sehen das entspannter. Zumindest in den Ferien.
Dann dürfen die Kleinen morgens länger schlafen (und das tun sie auch, meine Frau und ich sind da grosse Vorbilder, Erziehung geglückt, yes!). Dann kommt der Zmittag auch einmal zwei Stunden später auf den Tisch, das Pyjama bleibt an, der Zvieri darf ausfallen, und das Zähneputzen nach dem Essen geht auch gerne mal vergessen. «Sind ja Ferien», sagen wir uns dann.
Das hat auch einen Nachteil. Denn wer es tagsüber schleifen lässt, kann am Abend nicht auf Knopfdruck Ruhe einfordern. Anders gesagt: Der Feierabend verschiebt sich in den Ferien nach hinten oder findet gar nicht mehr statt. Neulich hatte ich mit einem Freund zum Feierabendbier abgemacht. Wir konnten uns erst nach 22 Uhr treffen, weil erst dann die Kinder schliefen. Die Verabredung dauerte bis weit nach Mitternacht. «Sind ja Ferien», sagten wir uns – doch leider galt das nicht für mich, weil ich am nächsten Tag wieder ins Büro musste.
Als ich am Morgen aus dem Haus ging, schliefen die Kinder noch. Schön, dachte ich. Am Abend aber, wieder zu Hause, sehnte ich übernächtigt den Feierabend herbei und wurde nervös, als sich der Znacht verspätete. So eine Tagesstruktur ist eben manchmal gar nicht so schlecht.
Roger Berhalter lebt mit seiner Frau und den zwei Söhnen (5 und 7 Jahre) in der Stadt St.Gallen. Er teilt sich mit seiner Partnerin die Erwerbs- und Hausarbeit. Am Backofen aber ist er der Chef.