Papa-Blog
Die Helikopter-Eltern auf dem Tennisplatz

Der Sport ist eine Schule fürs Leben. Gerade auch für Kinder. Nirgendwo sonst lernen sie so gut, mit heiklen Situationen und vor allem Niederlagen umzugehen.

Jürg Ackermann
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Beim Tennis gibt es nur Sieg oder Niederlage.

Beim Tennis gibt es nur Sieg oder Niederlage.

Bild: Getty

Helikopter-Eltern haben es streng. Sie wollen sich ständig in der Nähe ihrer Kinder aufhalten, um diese zu behüten und zu überwachen. Sie sehen überall Gefahren. Und legitimieren damit ihre exzessive Einmischung in die Angelegenheiten der eigenen Kinder.

Diese treibt zuweilen seltsame Blüten. So stellte der deutsche Journalist Jan Fleischhauer die These auf, dass junge Menschen von heute – gerade Studierende – nicht mehr fähig seien, kontroverse Gedanken oder Meinungen zuzulassen, dass sie überall Diskriminierung, Sexismus, Rassismus orten würden, weil sie einst von Helikopter-Eltern erzogen worden sind, die «von morgens bis abends über ihr Wohlergehen wachten.»

«Papa, mach du nur. Ich komme hier schon zurecht»

Ich las die Kolumne von Fleischhauer über Helikopter-Eltern am vergangenen Wochenende auf einer Parkbank am Stadtrand von Zürich. Mein älterer Sohn spielte ein paar Hundert Meter nebenan Tennis. Wegen Corona durften die Eltern dem Turnier jedoch nicht als Zuschauer beiwohnen, so dass viel Zeit blieb, sich ein paar Gedanken darüber zu machen, wie das nun genau ist mit dem überbehütenden Elterndasein.

So war es mir zugegebenermassen ein bisschen mulmig zumute, als klar wurde, dass mein 9-Jähriger den Tag mehr oder weniger alleine auf einer Tennisanlage im grossen Zürich verbringen musste, die er nicht kennt. Mit anderen Kindern, die er zuvor noch nie gesehen hatte. Allein gelassen auch mit den Emotionen, die ihn manchmal, besonders nach Niederlagen, übermannen.

Aber als ich ihn zur Anlage brachte und sagte, ich würde jetzt mal mit dem Tram in die Zürcher Innenstadt fahren und käme dann in ein paar Stunden wieder, meinte er: «Papa, mach du nur. Ich komme hier schon zurecht.»

Ein grossartiges Spiel, das einen viele Werte lehrt

Es ist ja ganz grundsätzlich für Eltern wahnsinnig schwierig, emotional nicht mitzuleiden, wenn das eigene Kind irgendeine Art von Wettbewerb hat. Gerade im Sport und gerade im Tennis, wo ich schon einigen Eltern begegnet bin, die es kaum aushalten, wenn ihr Kind ein Match spielt, weil sie vermuten, ihr Sohn oder ihre Tochter sei auf dem Weg, der nächste Roger Federer oder die nächste Belinda Bencic zu werden.

Vorbild fast aller Tennis spielenden Kinder in der Schweiz: Roger Federer.

Vorbild fast aller Tennis spielenden Kinder in der Schweiz: Roger Federer.

Der österreichische Schriftsteller Franzobel meinte einmal, Tennis sei eine der raffiniertesten Formen des menschlichen Dialogs. Wie recht hat er. Tennis ist grossartig, weil es Körper, Geist und Ausdauer gleichermassen fordert. Ein faszinierendes Spiel mit einem gelben Filzball, das einem Werte wie Respekt vor dem Gegner oder Fairplay lehrt.

Tennis ist aber auch brutal. Unentschieden gibt es nie, immer nur schwarz oder weiss. Entweder man verliert oder gewinnt – das Leben spielt sich in verdichteter Form als kleines Drama oft mit Achterbahnfahrt in einem einzigen Match ab. In einem Einzelsport kann einem auch keiner helfen. Und die Kinder müssen erst einmal lernen, mit diesen Emotionen und den Regeln des Spiels umzugehen. So gibt es bei den Junioren keine Schiedsrichter. Ob der Ball nun in- oder ausserhalb des Feldes landete, müssen sie mit ihrem Kontrahenten selber aushandeln.

Die Versuchung, sich einzumischen, ist gross

So geriet ich, obwohl grundsätzlich eine eher friedliebende Natur, im letzten Sommer mal fast in die Haare mit einem anderen Vater. Dieser ballte bei jedem Punkt seines Schützlings die Faust, selbst wenn mein Sohn einen einfachen Ball ins Netz geschlagen oder einen Doppelfehler gemacht hatte.

Und als sein Sohn, der offensichtlich bei einigen Ballwechseln geschummelt hatte, dann nach fast zweistündigem Kampf das Match gewann, meinte er süffig: «Eigentlich habe ich gehofft, dass er verliert, dann müsste er nun nicht in die nächste Runde und ich hätte noch meinen Kundentermin wahrnehmen können.»

Und ein anderer Vater nervte, als er nach fast jedem Ballwechsel seinem Sohn zurief «Bleib ruhig, bleib fokussiert», ohne zu merken, dass diese ständigen Anweisungen den an und für sich ruhigen kleinen Tennisspieler fast wuschig machten.

Ich muss zugeben: Die Versuchung ist wahnsinnig gross, sich einzumischen, sein Kind vor irgendeiner (sportlichen) Ungerechtigkeit zu beschützen. Nur war das an diesem Wochenende in Zürich gar nicht möglich – und irgendwie für alle Beteiligten äusserst heilsam.

Ein Sandwich auf dem Sechseläutenplatz

Als mein Sohn sein letztes Spiel im Final verlor, brach keine Welt zusammen. Ich wartete am Eingang der Tennisanlage auf ihn und er strahlte mich an. «Papa, das war ein cooles Turnier!», meinte er nur. Dann fuhren wir mit Bus und Tram wieder in Richtung Innenstadt, assen auf dem Sechseläutenplatz ein Sandwich und staunten, wie viele Leute in Zürich auch zu Coronazeiten auf der Strasse sind.

Vielleicht wird dieses Wochenende dereinst in unsere persönliche Geschichte eingehen als Markstein, wo mein Sohn einen weiteren Schritt in die Selbständigkeit machte, als einer von vielen, die er schon absolvierte und die noch folgen werden. Und ich hoffentlich auch noch den letzten Funken eines allfälligen Helikoptereltern-Daseins definitiv zum Erlöschen brachte.

Jürg Ackermann lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen (9 und 7) in St. Gallen.

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