«Jung & Alt»-Kolumne
Schlimmer als Wurst ist nur das Würstchen

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 78, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche erklärt Hasler, wieso die ältere Generation nach Auftrag lebt und nicht nach Lust und Laune.

Ludwig Hasler
Ludwig Hasler
Drucken
Auf dem Teller beliebt, aber dennoch als Beleidigung gebraucht: ein Würstchen.

Auf dem Teller beliebt, aber dennoch als Beleidigung gebraucht: ein Würstchen.

Stefan Kaiser

Liebe Samantha

Deine Lockerheit möchte ich mal haben. Langweilt dich ein Thema, wechselst du frisch zum nächsten. Diesmal zu Wurst. Mein Jugendthema, eigentlich: Appetit auf Wurst, reich an Ausschweifungen, Wurst – Fleisch – Sex – Sünde. Attraktiv, doch längst abgehandelt. Wenn du mich nun fragst, welche Wurst ich (gern) wäre, muss ich abwinken: Ich wär alles lieber, ein Vogel, eine Wolke, ein Lied, notfalls gar eine KI – bloss keine Wurst. Egal, welche.

Nein, kein Thema für mich. Aber ich gebe hier den Alten, wir Alten ticken nicht nach Lust und Laune, wir sind unserem Arbeitsethos verpflichtet, wir leben quasi nach Auftrag, sagt auch Christoph Blocher, und mein aktueller Auftrag will, dass ich dir antworte. Mach ich – obwohl ich schon weiss, etwas Schlaues kommt dabei kaum heraus. Ich kann nur werweissen, warum ich partout keine Wurst sein will.

«Du bist eine WURST» zirkulierte bei uns als Schimpfwort, wirkte wie die rote Karte im Fussball; wer sie kriegte, war aus dem Spiel. Eine «Wurst» war nie klar im Kopf, verwurstet halt, in ihm drin alles vermengt, darum (obwohl vollgestopft) eine leibhafte Null, zu nichts zu gebrauchen, der ewige Pannenstolperer, an dem höchstens Wilhelm Busch etwas Charme entdeckte. Wurst soll ja wörtlich von «wirr» stammen, wählerisch ist sie jedenfalls nicht, Haltung hat sie keine, man weiss bei ihr nie, was ist oben, was unten, was vorn, was hinten, ist alles einerlei. Darum: Ist mir wurscht.

Schlimmer war nur, als WÜRSTCHEN hingestellt zu werden. Höchststrafe für aufgeblähte Schwachköpfe, die – als Würstchen demontiert – in ihrer Lächerlichkeit erscheinen. Gibt es so etwas noch? Ich erinnere mich an den Hitlerfilm von Dani Levy, eine damals umstrittene Komödie, die Hitler als erbärmliche Witzfigur zeigt: ein wehleidiges Würstchen, impotent, vom Vaterkomplex zermürbt, der letzte Rest von Selbstbewusstsein ruiniert. Das Würstchen Adolf jammert («Ich bin kein Führer mehr»), spielt in der Schaumbadewanne Seekrieg, legt sich nachts ins Bett zwischen das jüdische Ehepaar Grünbaum («Ich fühle mich so allein, die ganze Weltlage geht mir so nahe»), macht so stümperhaft an Eva Braun herum, dass sie aufgibt: «Ich spüre Sie nicht, mein Führer.»

Wie befürchtet: nicht viel Schlaues, schon gar nichts Konsistentes. Kann passieren, vor lauter Arbeitsethos. Darum gleich noch eine wurstige Schlussrunde – samt Themenwechsel. Gestern bekam ich eine riesige Salami aus Bologna. Ich gleich süchtig. Nebenbei erinnert sie mich, wie Italiener, erst als «Tschingge» verunglimpft, uns famos unterwanderten, unsere Alltagskultur italianisierten. Pizza, Prosecco, Espresso, Alessi, Armani, Gianna Nannini ... Salami. Buon appetito!

Ludwig

Weitere Episoden dieser Kolumne finden Sie hier: