In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 76, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 26. Diese Woche analysiert Hasler die jugendliche Memekultur.
Liebe Samantha
Memes? Ja, kenn ich. Reiner Zufall. Ich schaue gelegentlich bei «Watson» vorbei, dem Schweizer Nachrichtenportal, da gibt es «News ohne Blabla» – und das «Meme des Tages». Ob ich es verstehe? Du wirst es mir sagen.
Also. Ich sehe Memes als eine Art visualisiertes Blödeln. Blödeln ist keine Karikatur, keine Satire. Blödeln ist mehr Selbsthilfe als Lächerlichmachen. Auf Newsportalen besonders erwünscht: ein bisschen Unernst, als Druckausgleich, kurzer Urlaub vom Ernst der Lage. Kein Mensch erträgt den täglichen Irrsinn der Menschenwelt, also verschaffen wir uns gern etwas Luft, um für den Ernst wieder fit zu sein. Wer blödelt, unterläuft bewusst seine eigenen Ansprüche, um sein Gemüt kurzfristig aufzuhellen, vom Konformitätsdruck zu entlasten.
So ungefähr.
Jedenfalls wäre es dann kein Rätsel, dass Memes an uns Alten abgleiten: Das Alter gibt wenig zu blödeln. Blödeln hat sein Treibhaus am Arbeitsplatz, in Pausen, da gibt es immer Anlass zu witzelnder Durchlüftung: der Chef, die Kundin, die Kollegen. Wir Alten aber sind, je länger wir leben, nur noch mit uns beschäftigt. Das verwandelt den Humor. Den einen vergeht er komplett, weil es immer weniger zu lachen gibt; sie konzentrieren sich dauerernst auf ihre Lottrigkeiten und Exkursionen. Andern wird er bissiger, galliger, existenzieller – à la «Humor ist, wenn man trotzdem lacht».
Galgenhumor halt. Er hilft, wenn meine irdische Aufenthaltsfrist absehbar abläuft, auch gegen die Vorboten des Endes, Krankheit, Hinfälligkeit. Faktisch bin ich ja machtlos dagegen, doch so ein Menschenleben lebt nicht von Tatsachen, sondern von den Bedeutungen, die wir ihnen zusprechen. Wo es mir gelingt, Altersübel mit Humor zu betrachten – etwa mit Karl Valentins «Jedes Ding hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische» – bin ich nicht mehr nur Opfer des Schicksals, ich gewinne Distanz, werde Akteur, werde Autor der Bedeutungen.
Wie das die seelische Widerstandskraft stärkt, lernen wir am besten von Viktor Frankl. Drei Jahre Konzentrationslager überlebte der Psychiater, im Humor sieht er «eine Waffe der Seele im Kampf um ihre Selbsterhaltung …, die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen», sich «über die Situation zu stellen».
Habt ihr Jungen eigentlich Humor? Seelische Widerstandskraft scheint bei euch nicht hoch im Kurs, ich nehme staunend wahr, wie bereits als Heldin gefeiert wird, wer seine psychischen Probleme outet, siehe Tennis-As Naomi Osaka.
Okay, Galgenhumor braucht ihr noch keinen. Ihr habt ja Zukunft. Also Zeit, in kritischen Lagen die Richtung zu ändern. Da kann schon Blödeln helfen. Und natürlich das Tages-Meme.
Ludwig